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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Kaufleute geduldet hatte, weil sie Ausländer und immer noch besser als Katholiken waren, war Ivan doch empört über die anmaßenden antiautoritären Argumente des Pamphlets, die sich indirekt auch gegen ihn richteten.
    Als er geendet hatte, starrte er Stefan finster an. »Was hast du dazu zu sagen?« hob er an. »Glaubst du diese Dinge?«
    »Es sind die Ansichten von Fremden«, antwortete Stefan. »Aber du bewahrst sie in deiner Zelle auf?«
    »Als eine Rarität.« Das stimmte, wenigstens fast. »Eine Rarität.« Der Zar wiederholte das Wort verächtlich. »Wir werden sehen, Mönch, welch eine Rarität wir für dich haben.« Er blickte zum Abt hin. »Du hast seltsame Mönche in deinem Kloster«, bemerkte er.
    »Ich wußte nichts davon, Herr«, war die klägliche Antwort. »Aber mein getreuer Boris Davidov wußte davon. Du scheinst sehr nachlässig zu sein in der Erfüllung deines Amtes, Abt! Du hast wohl daran getan, Boris«, seufzte Ivan, »dieses Monster zu entlarven. Wie sollen wir ihn bestrafen?« Der Zar sah sich im Raum um. Als er entdeckte, was er suchte, erhob er sich. »Komm, Boris, hilf mir beim Strafvollzug«, sagte er.
    Langsam ging Ivan auf Michail zu, nahm ihm die Kette aus der Hand, an der der Bär geführt wurde, und brachte das Tier zum Priester. Auf seinen Wink befestigte Boris das andere Ende der Kette an Stefans Gürtel, so daß der nun in einem Abstand von zwei Schritten mit dem Bären zusammenhing.
    Der Zar legte seinen Arm um Boris' Schultern, führte ihn an den Tisch zurück und rief den übrigen opritschniki zu: »Jetzt soll der Zar der Bären sich mit dem Ketzer befassen!« Stefan bekreuzigte sich und stand mit gesenktem Kopf in stummem Gebet vor dem Tier, das hilflos seinen Kopf hin und her drehte.
    »Nehmt meinen Stock«, befahl Ivan. Die Schwarzhemden bildeten einen Kreis und trieben den Bären mit dem spitzen Stock des Zaren an.
    »Hojda, hojda!« schrie dieser. So feuerten seine Kutscher die Pferde an. Schließlich begann der Bär vor Wut und Schmerz Stefan mit den Tatzen zu bearbeiten. Der Priester versuchte, die Schläge abzuwehren, die ihm blutende Wunden verursachten. »Hojda«, rief der Zar erneut, »hojda!«
    Der Bär setzte sein grausames Tun fort, bis Ivan seinen Männern schließlich befahl, das zerfetzte Bündel Mensch hinauszubringen und die Hinrichtung auf dem Hof zu vollenden. Doch die Nacht war noch nicht zu Ende, und der Zar war noch immer nicht befriedigt. »Mehr Wein«, befahl er Boris. »Setze dich neben mich, mein Freund.« Es war, als habe der Zar die anderen vergessen. Er betrachtete versonnen die Ringe an seinen Fingern. »Siehst du, dies ist ein Saphir«, erklärte er. »Saphire beschützen mich. Hier ist ein Rubin. Rubine reinigen das Blut.«
    »Du hast ja keine Diamanten, Gosudar«, bemerkte Boris. Ivan nahm Boris' Hand und lächelte ihm liebevoll zu. »Weißt du, es heißt, Diamanten halten Zorn und Wollust vom Menschen fern. Genau das habe ich nie gewollt. Vielleicht sollte ich?« Boris wußte nicht, ob er wachte oder träumte. War es möglich, daß der Zar ihm zur Seite saß und wie ein Bruder zu ihm sprach? Plötzlich sah Ivan ihn direkt an und fragte: »Warum hast du denn den Priester gehaßt?« Die Frage klang nicht unfreundlich, im Gegenteil.
    Boris hielt den Atem an. »Woher wußtest du das, Herr?«
    »Ich habe es dir angesehen, mein Freund, als sie ihn hereinbrachten.« Er lächelte wieder. »Er war wirklich ein Ketzer, weißt du. Er hat den Tod verdient. Für dich hätte ich ihn auf alle Fälle töten lassen.«
    Boris starrte vor sich hin. Es stimmte, er hatte kein Mitleid mit Stefan gehabt. Nun wurde er von Gefühlen nahezu überwältigt. Der Zar, mochte er auch schrecklich sein, war sein Freund. Es war schier unfaßbar. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er fühlte plötzlich, wie einsam er in all den Jahren gewesen war. Und nun empfand er den Wunsch, dem Zaren, der ihm gewogen war, seine unseligen Geheimnisse anzuvertrauen. Wem sonst sollte er sich mitteilen, wenn nicht Gottes Stellvertreter auf Erden, den Beschützer der einzig wahren Kirche?
    »Du hast einen Sohn, Gosudar, der deine Herrschaft fortsetzen wird«, begann Boris. »Ich habe keinen Sohn.«
    Ivan runzelte die Stirn. »Hast du wirklich keinen Sohn?« fragte er erstaunt.
    Boris schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe einen Sohn, und doch glaube ich, daß ich keinen habe.«
    Ivan betrachtete ihn aufmerksam. »Du meinst… der Priester?«
    Boris nickte. »Ja, ich glaube schon.«
    Ivan

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