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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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schwieg eine Weile. Dann erhob er sich. Boris wollte das gleiche tun, doch der Zar bedeutete ihm mit einer ausholenden Gebärde, sich vor ihm auf den Boden zu werfen. Dann hob er den Saum seiner langen Robe und legte ihn über Boris' Kopf, so wie der Bräutigam seine Braut bei der Brautmesse bedeckt.
    »Der Zar ist dein einziger Vater«, sagte er leise. Dann wandte er sich zu den übrigen opritschniki und rief: »Bringt uns unsere Mäntel und wartet hier auf uns.« Ivan zog seinen Zobelmantel an, setzte seinen hohen Pelzhut auf und befahl Boris leise, ihm zu folgen.
    In der tiefen Nacht waren nun mehr Sterne zu sehen. Graue, zerrissene Wolken trieben am Himmel, als Zar Ivan über den Hof ging und sein langer Stock auf den gefrorenen Schnee klopfte. Boris folgte ihm durch das Tor zum Fluß hin.
    Wie still es war! Der hohe Turm zeichnete sich mit seinem Zeltdach gegen den sternenbestickten Himmel ab. Wortlos führte Ivan den anderen vom Fluß weg zum großen Stadttor. Das kleine Seitentor, mit einem Nachtwächter davor, war noch offen. Ivan ging hindurch auf den sternenhellen Marktplatz. Dort wandte er sich an Boris:
    »Wo ist dein Haus?«
    Boris deutete in die Richtung, wollte die Führung übernehmen, doch der Zar war schon unterwegs. Nichts war zu hören außer seinem Stab und dem leisen Rascheln seiner langen Robe.
    Boris lief, um die Tür seines Hauses zu öffnen, aber Ivan blieb stehen. »Ruf deine Frau. Sie soll unverzüglich herunterkommen«, befahl er mit tiefer Stimme.
    Boris ahnte nicht, was folgen würde. Oben brannte eine Lampe in der Ecke. Elena döste vor sich hin, das Kind im Arm. Da sah sie plötzlich Boris' bleiches, völlig verstörtes Gesicht an der Tür. Noch ehe sie ein Wort wechseln konnten, klang die Stimme des Zaren von unten: »Sie soll sofort herunterkommen. Der Zar wartet.«
    »Komm«, flüsterte Boris.
    Noch halb im Schlaf und ganz verwirrt stand Elena auf. Sie trug nur ein langes Wollhemd und Filzpantoffeln. Unsicher tappte sie mit dem Kind die Treppe hinunter.
    »Komm her zu mir«, ertönte die leise Stimme des Zaren. Elena spürte die eisige Nachtluft auf ihrem Gesicht und versuchte das Kind zu bedecken. Sie ging auf die hohe Gestalt zu und wußte nicht, wie sie sie begrüßen sollte. »Laß mich das Kind sehen«, sagte Ivan. »Gib es mir.« Zögernd reichte sie ihm den Knaben, der sich im Schlaf bewegte. »Nun, Elena Dmitrieva, wußtest auch du, daß der Priester Stefan ein Ketzer war?«
    Elena fuhr zusammen. Einen Augenblick lang öffnete sich die Wolkendecke. Die Mondsichel kam zum Vorschein und sandte ein bleiches Licht auf die Straße hinunter.
    Ivan konnte das Gesicht der Frau deutlich sehen. »Der ketzerische Priester ist tot. Nicht einmal die Bären hielten zu ihm«, fuhr er fort. Es gab keinen Zweifel: In ihrem Gesicht stand nicht nur das Entsetzen einer schwachen Frau über einen schauerlichen Tod – sie hatte ihn geliebt.
    »Freust du dich nicht, daß ein Feind des Zaren tot ist?« Sie konnte nicht antworten.
    Ivan betrachtete das Kind. Es war klein und blond, nicht einmal ein Jahr alt. Es schlief immer noch. Sein Aussehen gab keinerlei Aufschluß. »Wie heißt das Kind?« fragte er schließlich.
    »Fedor«, flüsterte sie.
    »Fedor.« Der Zar nickte. »Und wer ist der Vater des Kindes? Mein treuer Diener oder ein ketzerischer Priester?«
    »Ein Priester? Wer sollte der Vater sein, wenn nicht mein Ehemann?«
    Sie sah unschuldig aus, aber wahrscheinlich log sie. Viele Frauen betrogen ihre Männer. Ihr Vater war ein Verräter, erinnerte sich Ivan. »Den Zaren darf man nicht belügen«, betonte er. »Ich frage dich noch einmal: Hast du Stefan, den ketzerischen Priester, den ich mit gutem Grund habe töten lassen, nicht geliebt?« Sie wollte widersprechen. Doch weil sie den Priester wirklich geliebt hatte, machte diese hohe Gestalt ihr angst. Sie war keines einzigen Wortes fähig.
    »Boris soll entscheiden«, meinte der Zar. »Nun, mein Freund, was ist dein Urteil?«
    Boris schwieg. Vorstellungen und Empfindungen wirbelten in seinem Kopf durcheinander. Bot Ivan ihm einen Ausweg an, vielleicht die Scheidung? Was also glaubte er? Er wußte es selbst kaum. Sie hatte den Priester geliebt. Sie hatte sich von ihrem Mann zurückgezogen, hatte ihn gedemütigt, versucht, seinen Stolz zu brechen. Plötzlich kam der jahrelange Groll gegen sie wie eine riesige Welle nach oben. Er würde sie bestrafen. »Es ist nicht mein Kind«, sagte er endlich. Ivan sprach kein Wort. Den Stab in der

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