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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Katze gewesen. Während jedoch bei der englischen Marine ein Mann, der tausend Hiebe mit der Katze bekommen hatte, überleben konnte, waren fünfzig Hiebe mit der Knute tödlich. Wenn also etwa ein Bobrov einen Bauern auf seinem Besitz wegen eines Vergehens prügelte, benutzte er wahrscheinlich eine Rute, den sogenannten batog, und keine Knute.
    Die Knute war etwa einen Meter lang und aus Leder gefertigt. Sie war dicker und schwerer als batogs. Der Knutenmeister führte den Schlag, indem er vorwärtssprang und die Knute mit aller Kraft schwang. Schon der erste Hieb riß in den Rücken des Opfers einen tiefen Striemen und zerstörte die Haut völlig. Der zweite Schlag traf schon auf die Knochen. Bei den noch härteren Methoden wurde das Opfer über einen Balken gezogen. Dabei wurden ihm die Arme aus den Gelenken gedreht und nach der Prozedur wieder eingerenkt. Zar Peter war durch die Meuterei der Strelitzen höchst beunruhigt. Er hatte als Kind mit ansehen müssen, wie sein Onkel von ihnen in Stücke gehackt worden war, und er wußte, daß die Strelitzen ihn stürzen und Sofija wieder an seine Stelle setzen konnten. Deshalb waren die Verhöre so wichtig. Nicht nur die Strelitzen, sondern auch zwei von Sofijas Zofen waren nackt ausgezogen und mit der Knute gezüchtigt worden.
    Peter war auch persönlich dabei, wenn Gefangene auf die Folter gespannt oder über dem Feuer geröstet wurden. Viele der Strelitzen schwiegen dennoch hartnäckig. Einmal brach man den zusammengepreßten Kiefer eines Meuterers mit einem Stock auf. Prokopios Bobrov wohnte mehreren solcher Vernehmungen bei. Gleich nach ihrer Rückkunft hatte Peter den jungen Mann seinem neugebildeten Regierungsdepartment eingegliedert, dem sogenannten preobrazenskijprikaz, einem Büro der Geheimpolizei. Von Anfang an war es gefürchtet.
    »Die Strelitzen sagen nicht viel, nicht einmal unter der Folter«, erzählte Prokopios seinem Vater. »Wir wissen aber, daß sie geplant haben, Peter zu stürzen und jeden Ausländer in Rußland umzubringen.«
    Drei Wochen lang wurden Exekutionen vorgenommen. Auch der plötzliche Wintereinbruch, der am 12. Oktober mit dichtem Schneetreiben kam, bedeutete nicht das Ende der Hinrichtungen. Daniel war einige Male Zeuge. Die Opfer wurden entweder geköpft oder gehängt. Peter verlangte von seinen Bojaren und Freunden, daß sie ebenfalls an den Exekutionen teilnahmen, und Daniel hörte, wie Prokopios eines Abends zu seinem Vater sagte: »Der Zar möchte morgen gern einmal ein paar Leute auf die europäische Art köpfen lassen, also nicht mit der Axt, sondern mit einem Schwert.« Daniel sah am folgenden Tag, wie Prokopios am Werke war. Es hieß, auch der Zar habe sich aktiv am Töten beteiligt. Daniel war über dieses Vorgehen nicht entsetzt, nur traurig. Die Strelitzen hatten rebelliert, und er fand es nur recht und billig, daß sie bestraft wurden.
    Das Entsetzen kam allerdings eines Morgens, als die Priester der Truppen auf dem Platz vor dem Kreml vorgeführt wurden. Vor den hohen Türmen der Basilius-Kathedrale hatten Peters Leute ein riesiges Gerüst aufgestellt, und zwar in Kreuzform. Dorthin wurden die Priester gebracht. Dann erschien der Hofnarr, der die Leute aufhängen sollte. Er trug selbst ein Priestergewand. Am selben Tag starben in den Gärten des Norodevitschij-Klosters hundertfünfzig weitere Strelitzen an Galgen vor Sonjas Fenster. Fünf lange Wintermonate baumelten die Gehenkten dort. Daniel hatte inzwischen herausgefunden, warum Eudokia ihn hatte kommen lassen: Er war der einzige, dem sie vertraute. Ihr Sohn war gottlos, ihr Mann, der nur das Beste für die Familie wollte, schwieg. Offiziell war Daniel als Tischler beschäftigt, und er stellte tatsächlich schönes Mobiliar für das Haus her. Längst betrachteten beide Bobrovs den Haushaltszuwachs als Gewinn. Aber während seine Frau sich den Eltern widmete, fand Nikita in der Beschäftigung mit dem kleinen Mädchen viel Freude.
    Marjuschka war in der Tat ein entzückendes Geschöpf. Sie hatte ein strahlendes sommersprossiges Gesicht und glänzende Augen und war gewohnt, daß alle Welt ihr freundlich gesinnt war. Selbst Prokopios, der seine Ungeduld Daniel gegenüber manchmal nur schwer verhehlen konnte, tollte mit ihr durchs Haus, wenn er zu Besuch kam. Er war inzwischen verheiratet und hatte selbst zwei Kinder.
    Marjuschka liebte ihren Vater abgöttisch. Sie wußte zwar, daß er älter war als die Väter anderer Kinder, doch sie fühlte: Er war etwas

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