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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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seinem Vater. Bei all seiner Brutalität war Peter menschlichen Schwächen gegenüber oft großzügig.
    Und nun bereitete Peter ein großes Abenteuer vor: Er wollte die baltischen Häfen in Besitz nehmen.
    Es war ein Geheimnis. Die Schweden waren stark, und man mußte sie überraschend angreifen. Brandenburg, Dänemark, Sachsen – alle wollten Krieg gegen die Schweden führen und die reichen baltischen Länder, Lettland, Estland, Litauen unter sich aufteilen. Doch Peter konnte keinen Vorstoß nach Norden wagen, ehe er nicht sicher war, daß von den osmanischen Türken kein Angriff von Süden zu erwarten war. Ein ganzes Jahr lang zeigte er sich dem schwedischen Gesandten in Moskau gegenüber als Freund, während sein Gesandter in Konstantinopel versuchte, ein Abkommen mit dem Sultan zustande zu bringen.
    Währenddessen betrieb Rußland die Aufrüstung. Und dazu brauchte der Staat Geld.
    »Wir besteuern alles, was nur möglich ist«, erzählte Prokopios zu Hause. »Und da der Handel blühen wird, wenn wir erst unsere baltischen Häfen haben, müssen die Kaufleute jetzt auch blechen.«
    »Wie soll das funktionieren?« wollte Nikita wissen. »Ganz einfach«, antwortete sein Sohn, »durch Verwaltungsreformen.«
    Peter sicherte allen ortsansässigen Kaufleuten völlige Freiheit ohne Kontrolle durch die Provinzgouverneure zu; sie konnten ihre Beamten selbst wählen.
    »Das wird ihnen wahrscheinlich gefallen«, meinte Nikita. Obwohl er auch einmal Gouverneur hatte werden wollen, wußte er genau, wie korrupt ihre Verwaltung war.
    »Da bin ich nicht so sicher«, grinste Prokopios. »Wir verdoppeln nämlich ihre Steuern!«
    Viele von Peters Reformen erwiesen sich zwar letztlich als vorteilhaft für Rußland, doch die meisten waren ursprünglich wohl nur wegen höherer Staatseinkünfte gedacht gewesen. Man brauchte aber nicht nur Geld, man brauchte auch Leute. Prokopios verlangte, Nikita solle ein angemessenes Kontingent von seinen Besitzungen, auch von Russka, stellen. »Wir müssen allerdings dafür sorgen, daß die Bauern, die von ihren Herren freigestellt werden, nicht weglaufen«, sagte Prokopios. »Sie müssen sich bei den Rekrutierungsoffizieren melden, sonst verlieren sie wieder ihre Freiheit.«
    »Ihre Freiheit ist also die Armee?«
    »So ist es.«
    Nikita konnte nur den Kopf schütteln. »Ich möchte nur wissen, wohin all die Veränderungen führen«, sagte er dann. »Sollen wir aufhören, Russen zu sein? Ist das das Ziel? Ich habe gehört, der Zar möchte, daß wir alle Holländisch sprechen.« Zu seiner Überraschung bestätigte sein Sohn dieses Gerücht. »Siehst du, Vater, wenn man verstehen will, was vor sich geht, muß man sich nicht in Rußland umsehen, man muß nach draußen schauen. Niemand hier ist sich klar darüber, wie rückständig wir sind. In London oder Amsterdam könntest du das sofort feststellen. Hat nicht Zar Aleksej zu deiner Zeit auch ausländische Offiziere und Methoden eingeführt, und war er vielleicht kein guter Russe?«
    »Doch, das war er«, antwortete Nikita voller Ehrfurcht. »Wir Russen müssen alles nützen, was wir für gut halten, und das übrige über Bord werfen«, fuhr Prokopios fort. »Aber warum haßt der Zar die Religion?«
    »Er haßt die Religion nicht. Aber die Kirche ist so rückständig, so abergläubisch, so ablehnend jeder Neuerung gegenüber, daß er mit ihr nicht arbeiten kann.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Zar Peter ist wie ein Riese, der eine große Armee bergauf zieht; doch die Soldaten blicken in die falsche Richtung, sie streben nach unten. Der Zar muß stark sein, er muß fest bleiben. Er muß, wenn du so willst, wie Ivan der Schreckliche vorgehen, wenn er überhaupt etwas erreichen will. Nur auf diese Weise kann er Rußland stark machen.«
    »Also können wir Russen bleiben, wenn wir die anderen erst einmal eingeholt haben?«
    »Natürlich. Weißt du, was der Zar letzte Woche zu mir sagte? Wir brauchen Europa die nächsten zwanzig Jahre, und dann kehren wir ihm den Rücken zu.«
    1700
    Das alte Rußland war am Ende. Vielen Russen erschien das wie eine Katastrophe, als risse plötzlich der Himmel auf. Tatsächlich dämmerte ein neues Zeitalter herauf. Im Dezember 1699 nämlich änderte Zar Peter den Kalender. In Rußland wurde seit den Zeiten des alten Kiev nach einem System gerechnet, das mit der Schöpfung begann und inzwischen im Jahr 7208 angelangt war. Das Kalenderjahr begann auch nicht mit dem Januar, sondern mit dem September. Das war logisch. Zu

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