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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Besonderes.
    Eudokia fand bei Daniel und Arina tatsächlich den Trost, den sie suchte. Jeden Tag trafen sie sich zum heimlichen Gebet. Wenn sie unbemerkt aus dem Haus schlüpfen konnte, verkleidete sie sich als Bäuerin und besuchte mit den Freunden die geheimen Gottesdienste.
    Daniel hatte gleich in der ersten Woche in Erfahrung gebracht, daß überall in Moskau die Messen der raskolniki gehalten wurden, und zwar vor allem in Privathäusern. Sie holten ihre Ikonen, dunkel geworden vom Rauch und vom Alter, lehnten sie an die Wand und machten beim Gebet das Zweifingerkreuz. Ende Oktober wurden die Exekutionen vorläufig ausgesetzt. Peter begab sich an den Don, wo er den Bau einer neuen Flotte inspizierte. Die sieben Fastenwochen vor Weihnachten begannen, und eine Zeitlang herrschte Ruhe in Moskau.
    An Weihnachten war Peter wieder in der Stadt. Er und der Synod zogen auf zweihundert Schlitten durch die Innenstadt und die Deutsche Vorstadt. Dabei grölten sie lauthals Weihnachtslieder. Im Januar und Februar wurden in herkömmlicher Weise der Dreikönigstag und der Karneval begangen. Da begannen auch wieder die öffentlichen Hinrichtungen. Am 3. Februar mußten auf Peters Anordnung alle Ausländer in Moskau der Hinrichtung von dreihundert Strelitzen beiwohnen, die beabsichtigt hatten, sie umzubringen.
    Sofija, so wollte es Peter, mußte formell den Schleier nehmen; seine Gemahlin schickte er in ein Kloster in Suzdal. Ihr gemeinsamer Sohn, um den Peter sich nicht gekümmert hatte, wurde Peters Schwester anvertraut und erhielt einen deutschen Erzieher. In der Karnevalswoche erlebte Daniel erstmals den schauerlichen Trunkenen-Synod des Zaren. Die Zecher waren unterwegs in das vornehme Haus Leforts. Vorneweg marschierte wie üblich Peters alter Erzieher, als Patriarch verkleidet. Ihm zur Seite ging einer, der Bacchus, den Gott des Weines, darstellte. Auch er trug eine Mitra – im übrigen war er splitternackt. Einige Teilnehmer hatten Wein und Met dabei, andere Schüsseln mit dem widerwärtigen Tabakkraut, das sie angezündet hatten. Wieder andere schwenkten Weihrauchfässer, die jedoch mit qualmendem Tabak gefüllt waren. Daniel hatte von Prokopios gehört, daß der Zar bei seinem Aufenthalt in England Lord Carmarthen das Monopol für den Import der schädlichen Pflanze nach Rußland gegeben hatte. Nun verbrannten die Begleiter des Zaren Tabak in Weihrauchgefäßen! Bisher hatte der Zar seine Aufmerksamkeit nur auf seinen Hof und die Strelitzen gerichtet. In den folgenden Monaten aber lenkte er sein furchtbares Augenmerk auf sein Volk. Es begann eines Abends, als Prokopios den Hof überquerte und zu Daniel, den er dort traf, nebenbei bemerkte: »Nun, Daniel, morgen mußt du deinen Bart abrasieren.« Und als er den überraschten Blick des Tischlers sah, fügte er hinzu: »Hast du's noch nicht gehört? Ja, der Zar gibt morgen früh einen ukaz heraus.« Edikte hatten alle Zaren erlassen, doch bei Peter überstürzten sie sich geradezu. Das Edikt von 1699 befahl allen Männern, nicht nur den Bojaren, sondern auch einfachen Leuten wie Daniel und selbst den Bauern, ihre Bärte abzurasieren!
    Jeder, nur die Priester nicht, hatte sich zu rasieren. Wer sich weigerte, mußte eine Strafe bezahlen und ein Bronzemedaillon um den Hals tragen. Leibeigene hatten nur eine halbe Kopeke zu entrichten, doch für einen freien Mann, einen Handwerker oder auch einen Kutscher, waren es dreißig harte Rubel, für einen Kaufmann sechzig und für einen Adligen wie Bobrov hundert. »Es ist eine Todsünde, sich den Bart abzurasieren«, erklärte Daniel seiner Frau Arina, »das kann ich nicht machen.« Auch in der Familie Bobrov entfachte der ukaz einen Sturm der Gefühle. »Niemals«, schrie Eudokia, »das ist undenkbar.« Und als Nikita nervös etwas von der Geldsumme verlauten ließ, brauste sie auf: »Ich gebe lieber alles, was ich habe, ehe ich das zulasse.«
    Am nächsten Tag erschien Nikita jedoch mit einem ebenso triumphierenden wie ratlosen Blick und hatte nur noch den Schnurrbart. Eudokia machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn vier Wochen lang nicht mehr in ihre Nähe. In der Zwischenzeit kaufte sie heimlich ein Bronzemedaillon für Daniel und bestand darauf, daß er es annehme.
    Prokopios war bester Laune. Die Strelitzen waren nun endgültig niedergeschlagen worden, und Peters Macht war unanfechtbar. Seine eigene Position war gut; der Zar war sein Freund. »Wenn er jemandem traut, ist er der netteste Bursche der Welt«, erzählte er

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