Russka
sagte er. »Aber wir müssen auch bereit sein. Denn nun kommt möglicherweise eine Zeit des Leidens.«
Eine Stunde später schrieb er einen Brief, der vereinbarungsgemäß vom Verwalter nach Moskau gebracht werden sollte.
Nikita Bobrov war außer sich. Dieser unglückselige Bursche hatte schlimme Nachrichten gebracht. Aber erst dieser Brief – er übertraf Nikitas schrecklichste Alpträume.
Der junge Verwalter war in Panik geraten. Obwohl er zu den raskolniki gehörte, war er doch nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Daniel und seine Freunde. Als die beiden Spione eintrafen, geriet er in Furcht und Schrecken. Er überlegte sich gerade, wie er am besten fliehen könne, als Daniel mit dem Brief zu ihm kam.
»Bringt ihn zu Eudokia Bobrov«, befahl der alte Mann. »Ihr seid der Verwalter. Niemand wird Euch aufhalten, wenn Ihr Euch rasch auf den Weg macht.«
Der ließ sich das nicht zweimal sagen. Noch im Tageslicht ritt er nach Moskau. Aber wenn er dort eintraf – was sollte er sagen, was tun? Zuerst einmal öffnete er vorsichtig den Brief, las ihn aufmerksam und versiegelte ihn wieder. Er enthielt das, was er vermutet hatte. Daniel hatte Eudokia kurz das Vorgefallene geschildert, sie um mögliche Hilfe gebeten und, falls sie nichts tun könne, sie doch an ihren gemeinsamen Glauben erinnert.
Und ich stecke mit drin, dachte der Verwalter bitter. Dame hin oder her – sie werden es herausfinden. Schließlich muß sie dafür sterben, gemeinsam mit den anderen, und ich auch. Er sah nur einen Ausweg: Er würde den Brief Nikita persönlich übergeben. Vielleicht könnte dieser die Sache vertuschen, dachte er. Auf jeden Fall ist er der einzige, der mich retten kann.
Also ging der Kerl in seiner panischen Angst zu Nikita und händigte ihm den Brief aus. Und wie zu erwarten, geriet Nikita nach der Lektüre außer sich.
»Was ist nur über dich gekommen?« brüllte er seine Frau an. »Niemand aus unseren Kreisen hat sich seit zwanzig Jahren um diese verdammten Leute gekümmert!«
»Es mag vielleicht nicht üblich sein, doch ich tat das Rechte«, antwortete sie starrköpfig.
»Recht! Du hältst es für recht, daß man sich weigert, für den Zaren zu beten, und ihn als Antichrist bezeichnet? Siehst du denn nicht, daß es nicht nur eine Frage der Religion ist? Dein Tischler ist nicht nur einer der raskolniki, er hat Verrat begangen!«
»Für seinen Glauben.«
»Der Zar interessiert sich nicht für seinen Glauben, sondern für den Verrat«, brüllte Nikita.
Aus ebendiesem Grund halten ihn so viele Russen für den Antichrist, dachte Eudokia.
»Der Zar wird es unserer Familie übelnehmen, daß sie daran beteiligt ist«, erklärte Nikita. »Wenn wir nicht gewußt hätten, daß ein paar unserer Bauern Verräter sind, hätte man das übersehen können. Aber«, er schwenkte den Brief, »hier ist der Beweis, daß wir etwas damit zu tun haben. Ich könnte dafür ausgepeitscht werden – und du vielleicht auch. Unser Landbesitz wird uns wahrscheinlich weggenommen. Prokopios' Karriere ist ziemlich sicher beendet. Ich begreife nicht, wie du das deiner Familie zum zweitenmal antun konntest. Was wir nun auch unternehmen, es muß schnell geschehen«, schloß er grimmig.
An diesem Abend besprach Nikita sich mit seinem Sohn und mit Andrej und Pavlo. In der Folge dieses Treffens verließen zwei Reiterpaare noch in der Nacht Moskau. Prokopios und der Verwalter nahmen den Weg zu einem entlegenen Besitz der Bobrovs. Die beiden anderen, Andrej und sein Sohn, hatten zwei Ersatzpferde dabei und ritten rasch in Richtung Russka. Der Abt war kein schlechter Mann, aber er hatte nicht die Absicht, derlei Dinge in einem Dorf neben seinem Klosterbezirk zu dulden. Außerdem vermutete er, daß einige seiner Mönche heimliche Sympathisanten dieser Leute seien. Der alte Abt war es sicher gewesen. Er persönlich hatte nicht das geringste für die raskolniki übrig. Was Daniel und seine Freunde anbelangte, so konnte der Abt nur erleichtert aufatmen, als er den Bericht der beiden Inspektoren von Vladimir hörte. »Gott sei Dank«, sagte er, »sie haben Verrat geübt.« Nun konnte er nach den Truppen senden.
Die Bewohner von Sumpfloch ergaben sich in ihr Schicksal. Zwanzig Jahre lang hatten sie fortwährend das Gesetz gebrochen, obwohl sie von entfernten Gemeinden wußten, daß darauf der Tod stand: Andere waren bereits für ihren Glauben den Märtyrertod gestorben. Nun kamen die Truppen, nun waren sie an der Reihe.
Sie würden keine Gnade walten
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