Russka
einiges geändert, seit du das letztemal hier warst.« Er machte eine weit ausholende Handbewegung und forderte die Gäste auf einzutreten. Nicht nur das Mobiliar war verändert. Es berührte Andrej seltsam, seinen alten Freund bis auf den Schnurrbart glattrasiert und in einer enganliegenden deutschen Jacke wiederzusehen. »Du könntest fast ein Kosak sein, mein lieber Nikita!« lachte er. »Ach ja, Befehl des Zaren, weißt du.«
Ein Jahr nach der Bartsteuer hatte Peter eine neue Verordnung herausgebracht. Diesmal mußten alle Bevölkerungsschichten außer den Bauern ungarische oder deutsche Jacken anstelle der langen Kaftane tragen, die Peter, obwohl sie während der russischen Winter zweifellos besser wärmten, altmodisch fand. »Ja«, fuhr Nikita fort, »du wirst sehen, daß sich jetzt alles nach dem Westen richtet. Junge Menschen dürfen sich schon vor der Hochzeit kennenlernen. Unsere Frauen müssen nicht mehr ständig im Haus leben. Peter läßt sie sogar zusammen mit ihren Männern bei Hof erscheinen. Ich muß schon sagen – Fortschritt auf der ganzen Linie.«
Andrej sah aber sehr wohl, daß Eudokia bei der Begrüßung ein langes Gewand im alten Stil trug und ihn auf die traditionell ehrerbietige Weise willkommen hieß.
»Meine Frau hält zu Hause die alten Sitten hoch«, bemerkte Nikita leicht verlegen.
Die beiden Ukrainer fanden das sehr elegant. Andrej war fasziniert von allem, was ihm in den folgenden Tagen begegnete. Nikita bestand darauf, daß Vater und Sohn bei ihm wohnten, und er nahm Andrej auf allen seinen Wegen mit. Die Stadt hatte ein anderes Gesicht, und auch das Verhalten der Bewohner war verändert. Während Nikita beispielsweise als junger Mann ziemlich barsch mit Ausländern umgesprungen war, zeigte er sich nun durchaus zuvorkommend.
»Wir haben jetzt Apotheker in der Stadt«, erklärte er. »Und eine Zeitung. Außerdem eine Marineakademie, und eine Sprachenschule wird eröffnet.« Bei anderer Gelegenheit berichtete er, daß der Zar sogar Protestanten in der Stadt wohnen ließ. Es wurde wieder eine Kirchenbehörde eingerichtet, doch diesmal, so stellte Andrej fest, zweigte der Zar tatsächlich etwas von den Kircheneinnahmen für den Staat ab.
»Er ließ auch viele Kirchenglocken für Geschütze einschmelzen«, erzählte Nikita.
Doch schockierender als das, was Peter getan hatte, war, daß er etwas nicht getan hatte. Drei Jahre zuvor war der alte Patriarch gestorben, und da er zu jener Zeit auch der Patriarch der ukrainischen Orthodoxen war, überlegten diese, wer wohl der neue Patriarch werden würde. Vorerst war ein Ersatzmann bestellt worden. Als Andrej nach dem Nachfolger fragte, schüttelte Nikita den Kopf. »Du verstehst nicht. Es heißt, es wird keinen Nachfolger geben. Peter möchte keinen mehr.«
»Was soll das heißen? Der Zar kann doch nicht einfach den Patriarchen abschaffen.«
»Du kennst Peter nicht«, antwortete Nikita leise. Die Kriegsmeldungen klangen sehr ermutigend. Nach einigen Fehlschlägen konnte Peter seine erste Stellung an der Ostsee festigen. Bisher war es ihm allerdings nicht gelungen, einen der großen Ostseehäfen wie Reval oder Riga zu halten, doch im Jahr zuvor hatte er eine Festung am Ladogasee an der Mündung der Neva zurückerobert. »Es gibt nur noch eine Festung dort oben, und zwar an der Einmündung der Neva ins Meer«, erklärte Nikita. »Wenn der Zar die einnehmen kann, hat er Zugang zum Meer.« Eine Woche später kam Prokopios mit der Nachricht, auch diese Festung sei bei einer Schlacht auf der Neva mit einer schwedischen Flottille gefallen.
Es war eine verlassene sumpfige Gegend. Neva bedeutet im Finnischen »Sumpfland«. Außer der Festung gab es dort nichts. Immerhin führt die Neva in den Ladogasee, und von dort konnte man das weitverzweigte Flußnetz des nördlichen Rußland befahren. Verglichen mit Reval oder Riga weiter südlich an der Ostseeküste, war diese Eroberung allerdings bescheiden.
Im Jahre 1703 war das Peters Erfolg, auf den er stolz war. Er belohnte sich und seinen Günstling Menschikov mit dem kurz zuvor von ihm selbst gestifteten Sankt-Andreas-Orden. Er ließ verkünden, daß er im Juni im Triumph nach Moskau zurückkehren werde. Unverzüglich ließ er ein neues und wehrhafteres Fort anstelle des alten errichten.
»Wie soll denn die neue Festung des Zaren heißen?« erkundigte sich Nikita.
»Peter-und-Pauls-Festung«, antwortete Prokopios. »Als ich abreiste, sprach der Zar davon, daß er dort auch eine Stadt bauen
Weitere Kostenlose Bücher