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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Katharinas junger Liebhaber Lanskoj zwei Jahre zuvor plötzlich starb – er habe seine Gesundheit mit Liebestränken ruiniert, so ging das Gerücht –, hatte Alexander die Gelegenheit beim Schopf gepackt und war geradewegs zu Potemkin gegangen, um sich in Erinnerung zu bringen. Doch ein junger Gardeoffizier war gerade vor Alexander vorgelassen worden und errang die Gunst der Herrscherin. Potemkin war aber durchaus von Bobrov als möglichem Bewerber beeindruckt, nicht zuletzt wegen seiner Loyalität.
    Das war vor einem Jahr gewesen. Alexander wartete voller Unruhe. Er kannte den jungen Offizier flüchtig und sammelte nun alle Informationen, die er über ihn bekommen konnte. Seine Freunde bei Hof berichteten ihm, der junge Mann habe seine verliebten Augen auf eine der Hofdamen geworfen und sei seiner derzeitigen Stellung überdrüssig.
    Was, wenn nun er, Bobrov, an die Reihe käme? Die Kaiserin war nie schön gewesen. Obwohl ihre Züge klug und ansprechend wirkten, war ihr Körper stämmig, um nicht zu sagen: vierschrötig. Sie war nun siebenundfünfzig, und es hieß, daß sie mitunter an Kurzatmigkeit leide. Aber immerhin war sie die Allherrscherin über Rußland. Ihre Macht, ihre grandiose Position, ihr außergewöhnlicher Geist machten sie für einen Mann wie Bobrov, der die höchsten Höhen zu erklimmen gedachte, über alle Maßen begehrenswert. Und dann… welch ein Schicksal! Die Mutter Rußlands und ihr mächtiges Imperium zu seinen Füßen – er würde dem engsten Kreis derer angehören, die mit der Kaiserin herrschten. Es gab auf der ganzen Welt keine höhere Position. Er mußte nur noch ein wenig durchhalten.
    Draußen glitt das schweigende St. Petersburg vorüber. Sie kamen nun auf den weitläufigen Petersplatz vor der Admiralität. Zur linken sah Alexander die lange Hängebrücke, die über die Neva zur Vassiljev-Insel führte. Gegenüber dem Winterpalais zeichnete sich der schlanke Turm der Peter-undPauls-Kathedrale gegen den Nachthimmel ab.
    Da nahm etwas auf dem großen Platz plötzlich Bobrovs Blick gefangen. Er öffnete das Fenster des Schlittens und wurde seltsam berührt beim Anblick des bronzenen Reiterstandbildes. Es war in jahrelanger Arbeit von dem französischen Bildhauer Falconet gefertigt und erst vor kurzem aufgestellt worden und galt bereits als das berühmteste Standbild in ganz Rußland. Auf einem kolossalen Granitblock erhob sich ein Pferd in dreifacher Lebensgröße auf der Hinterhand. Darunter lag eine Schlange. Auf dem Pferd saß, mit einer römischen Toga angetan, die Statue Peters des Großen. Mit der linken hielt er die Zügel, während die Rechte mit einer wirklichen Herrschergeste über die Neva hinwegdeutete. Es hieß, daß es auf der Welt keinen größeren Granitblock, keine so große Bronzestatue gebe. Dieser Anblick nahm Alexander jedesmal den Atem. All seine Träume und Sehnsüchte schienen sich in dieser Hymne an die Macht Rußlands zu vereinigen. Auf der Sockelplatte stand nichts als dies:
    Für Peter I. von Katharina II.
    Während Alexander schaute und schaute, schien die Statue zu ihm zu sprechen, und zwar mit der Stimme seines eigenen Ehrgeizes: Kleiner Mann, du würdest jetzt besser umkehren! Nein, dachte Alexander. Das kann ich nicht. Ich bin schon zu weit gegangen. Es ist besser, noch ein einziges Mal zu spielen – ein Imperium zu gewinnen oder alles zu verlieren. Kurzentschlossen warf er die Silbermünze aus dem Fenster.
    »Lieber Alexander!« Sie lächelte. »Ich freue mich sehr, daß Sie gekommen sind.«
    »Dana Michailovna, Sie sehen wunderbar aus.« Er küßte ihr die Hand. Nein, die Gräfin sah nicht schlecht aus. Sie mußte einmal eine attraktive Frau gewesen sein. Ihr kleines, zu stark geschminktes Gesicht erinnerte ihn an einen bunten Vogel, um so mehr, als ihre Nase jetzt im Alter sehr ausgeprägt war. Ihre kleinen blauen Augen blickten lebhaft. Sie trug ein bodenlanges Kleid aus malvenfarbener Gaze, verziert mit weißer Spitze und rosa Schleifen. Es mochte aus einer anderen modischen Epoche stammen – und so sah die Gräfin aus wie eine Person der letzten Generation am französischen Hof. Ihr Haar war aufregend hochgetürmt, gekrönt von Löckchen, geschmückt mit Perlen und einem blaßblauen Band. Zum Empfang der Gäste thronte Gräfin Turova auf einem vergoldeten Stuhl inmitten des Salons, zu dem man über die Treppe in der großen Marmorhalle gelangte. Wie in allen russischen Palästen war dieser Salon weiträumig und vornehm. Die Decke war über

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