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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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die ebenfalls Anwärter waren. Aber ein Viertel, selbst ein Achtel ihres Vermögens würde genügen. Bobrov seufzte. Obwohl er ihr bereits seit Jahren seine Aufwartung machte, hatte er keinerlei Vorstellung, wie seine Aussichten standen. Manchmal zeigte sie sich ihm gegenüber wohlwollend, dann wieder schien sie sich mit Wonne über ihn lustig zu machen.
    Was wäre, wenn sie an diesem Abend einwilligte? Sie war nun über siebzig. Die Aussicht auf ein Legat gäbe ihm die Möglichkeit, neue Risiken einzugehen. Er kannte Geldverleiher, die ihn auf dieser Vertrauensbasis ein weiteres Jahr über Wasser halten würden. Dann würde er dem deutschen Mädchen den Laufpaß geben, seine Zelte abbrechen und die Ereignisse abwarten. Trotzdem war es ein äußerst gewagtes Unternehmen. Was sollte etwa die Gräfin Turova daran hindern, ihm Versprechungen zu machen und hinterher ihre Meinung zu ändern? Oder was wäre, wenn sie neunzig Jahre alt würde? Alexander schob die Zweifel beiseite. Er hatte sich entschieden, und dabei blieb es. Er spürte die Silbermünze in seiner Hand. Im Haus der Gräfin wollte er die Münze werfen. Wenn sie Revers zeigt, heirate ich die Deutsche. Zeigt sie Avers, und die Alte verspricht mir ein Legat, lasse ich's darauf ankommen, dachte er bei sich.
    Der Schlitten flitzte durch die eisigen Straßen St. Petersburgs, der blasse Schein von Lampen und erleuchteten Fenstern huschte in der Finsternis vorüber. Ein paar Sterne waren zu sehen. Der prächtige Schlitten war geschlossen. Zwei Lakaien standen auf dem hinteren Trittbrett, auf dem Kasten vorn saß der Kutscher. Nebenher ritt ein Junge. Er und der Kutscher hieben unbarmherzig auf die Pferde ein. Was kümmerte sie's? Es waren nicht Bobrovs Tiere. Obwohl der Staatskanzler erstklassige Pferde besaß, zog er, wie die meisten Leute in St. Petersburg, für gewöhnliche Fahrten Mietpferde vor. Bobrov ließ sich in die weichen Polster sinken. Der südliche Teil von St. Petersburg wurde durch ein Radialstraßensystem mit einer Ringstraße unterteilt; südlich war das Areal von einem Wassergraben, der berühmten Fontanka, begrenzt. Bobrovs Haus lag in dem vornehmen ersten Admiralitätsviertel am Mittelring, und sein Weg führte ihn bald auf die aus Granit errichtete Kaimauer an der zugefrorenen Neva. In wenigen Minuten würde er im Herzen der Hauptstadt sein.
    Er nahm die Münze in die Hand. Welch ein Spiel: Er würde mit einer einzigen Münze um das russische Imperium spielen! Das war sein Gewinn in dem heimlichen Spiel, dem er seit so langer Zeit frönte. Aus diesem Grund wollte er auch nicht heiraten, und deshalb mußte er finanziell unbedingt noch eine Weile durchhalten. Der Gewinn würde die glänzendste Stellung im russischen Staat sein; Alexander Bobrov strebte nichts Geringeres als die Position des offiziellen Liebhabers von Katharina der Großen an. Am Hof der Kaiserin gab es verschiedene Wege zur Macht, doch keine Karriere bot derart grandiose Aussichten wie der Umstand, ihr Lager zu teilen.
    Wenn ihr auch ein unerhörter Verschleiß an Männern nachgesagt wurde, war Katharina im Grunde eher gefühlsbetont. Sie war während ihrer Ehe gedemütigt worden. Und aus ihren Briefen geht hervor, daß sie die meiste Zeit ihres Lebens auf der Suche nach Zuneigung und nach dem idealen Mann war; dabei ging sie keineswegs wahllos vor – die Geschichte berichtet von weniger als zwanzig Liebhabern.
    Denjenigen aber, die diese Position innehatten, waren kaum Grenzen gesetzt. Meistens handelte es sich dabei um Männer aus Familien wie die Bobrovs, manche waren unbedeutender. Ihre Namen gingen in die russische Geschichte ein. Da war etwa Orlov, der tapfere Gardist, der ihr zum Thron verholfen und dessen Bruder den verhaßten Gemahl beseitigt hatte. Oder Saltikov, der charmante Aristokrat. Dann Poniatovski – Katharina hatte ihn sogar zum König von Polen gemacht! Und der Größte von allen, jenes seltsame, schwerblütige Genie, der einäugige Krieger Potemkin, der nun ihr mächtiger Statthalter auf der Krim war. Hatte sie einen neuen Liebhaber gewählt, so durfte er im allgemeinen ein Präsent von hunderttausend Rubeln nach der ersten Nacht erwarten. Danach… Potemkin, so hieß es, habe an die fünfzig Millionen erhalten. Bei Hofe munkelte man, Potemkin selbst wähle ihre neuen Liebhaber aus.
    Für Alexander war es ein leichtes gewesen, mit dem großen Mann Freundschaft zu schließen. Er bewunderte ihn aufrichtig und wurde einer seiner treuesten Anhänger. Als

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