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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Grenzen des alten Persien vorgedrungen. Außerdem hieß es, daß jenseits der Beringstraße, an der Küste Alaskas, eine russische Kolonie gegründet worden sei. Katharina die Reformerin. Wie schon Peter vor ihr, wollte sie aus Rußland ein modernes, freigeistiges Imperium machen. Slawen, Türken, Tataren, Finnen, zahllose Stämme – sie alle waren nun Russen. Um das ausgedehnte Steppenland zu kolonisieren, hatte sie sogar deutsche Siedler geholt. Im kaiserlichen St. Petersburg wurden acht verschiedene Religionen in vierzehn Sprachen praktiziert. In den ehemals polnischen Gebieten lebten sogar Juden. Der gesamte Kirchenbesitz war bereits säkularisiert worden. Alle unbedeutenden Klöster waren geschlossen. Katharina versuchte außerdem, die veralteten russischen Gesetze zu reformieren.
    Katharina die Aufgeklärte. Es war das Zeitalter der Aufklärung. Im 18. Jahrhundert hatten rationale Philosophie und liberale politische Ideen in ganz Europa ihren Siegeszug angetreten. Im nördlichen Amerika, das sich durch den Unabhängigkeitskrieg soeben vom englischen König losgesagt hatte, begann das Zeitalter der Freiheit. Katharina die Gesetzgeberin. Katharina die Erzieherin, die Meisterin der freien Rede. Voltaire selbst, der französische Freigeist, schrieb ihr zahlreiche Briefe. Katharina die Weise; die Frau mit vielen Liebhabern.
    Im Schatten neben dem Kollegiumseingang wartete eine stille Gestalt im schweren Mantel. Da trat Staatskanzler Bobrov, in einen dicken Pelzmantel gehüllt, aus der Tür ins Licht der Lampe. Er wollte sich nach Hause begeben. Sein Schlitten war noch nicht vorgefahren, und der Türsteher war unterwegs, um ihn zu holen. Der Fremde löste sich aus dem Schatten. Er machte ein kleines Zeichen und überreichte Bobrov verstohlen eine Nachricht. Und schon war er wortlos verschwunden.
    Der Platz lag wieder verlassen da. Bobrov erbrach das Siegel und las:
    Sie werden für morgen sechs Uhr zu einer außerordentlichen Versammlung der Brüder ins rosa Haus gebeten. Colovion
    Es gab in ganz Rußland wohl kaum hundert Personen, die gewußt hätten, worum es hier ging, doch für Alexander Bobrov bedeutete diese Nachricht sehr viel. Zu Hause würde er sie sofort vernichten – alle Mitteilungen dieser Art mußten verbrannt werden, das war Vorschrift. Zunächst aber steckte er den Brief in seine Jackentasche. Da kam auch schon sein Schlitten. An diesem Abend hatte er noch vieles zu erledigen.
    Der Mahagonitisch war für ein einsames Abendessen gedeckt: Hühnchen, eine Schüssel mit Sauerkraut, Roggenbrot, Belugakaviar, ein Glas mit deutschem Wein. Alexander hatte jedoch kaum etwas angerührt. Er war für den Abend schon mit einer blauen Samtjacke bekleidet. Obwohl er nervös war, zeigte sein Gesicht den unbeweglichen Ausdruck des Spielers.
    Sein Blick schweifte in dem großen hohen Raum umher. An den dunkelgrün tapezierten Wänden hingen biblische Szenen in klassizistischer Manier. In einer Ecke stand der große, rot und grün gekachelte Ofen. Es war Zeit für die Begegnung mit der Gräfin Turova.
    Obwohl die Hierarchie des Imperiums – die vierzehn Ränge – jedem gebildeten Mann offenstand, gab es doch Familien, die einen Sonderstatus außerhalb des offiziellen Systems bekleideten. Einige Familien von Bojaren und niederem Adel wie etwa die Bobrovs hatten ihren Stand über die turbulenten Jahrhunderte hinwegretten können. Da gab es Männer mit alten Fürstentiteln, Nachfahren der Tataren-Khans oder des heiligen Vladimir selbst; es gab andere mit ausländischen Titeln, die im allgemeinen aus dem Heiligen Römischen Reich stammten; und neuerdings waren da auch Familien mit Titeln, die Peter und seine Nachfolger für ihre Günstlinge eingeführt hatten: Prinzen, Grafen, Barone. Graf Turov, ein großartiger Mann, war einer dieser Favoriten gewesen. Vor seiner Witwe, der Gräfin Turova, hatte selbst Alexander Respekt. Sie war die Kusine seines Vaters. Sie und der Graf hatten ihre beiden Kinder verloren, und bei seinem Tod hinterließ der Magnat einen Teil seines ungeheuren Besitzes seiner Witwe. »Sie kann damit machen, was sie will«, hatte Alexanders Vater erzählt. »Vielleicht kannst du etwas davon in die Hand bekommen. Wirklich mit ihr rechnen kann man aber nicht. Sie war immer eine exzentrische Person.«
    Gerade darum ging es an diesem Abend für Alexander. Er konnte die alte Dame nicht so ohne weiteres um Geld bitten. Doch vielleicht hatte sie ihn ja in ihrem Testament bedacht? Es gab allerdings Vettern,

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