Russka
Rosenkreutzernamen »Colovion«.
Für Alexander bedeutete diese erste Versammlung des inneren Kreises eine Offenbarung. Es war nur eine kleine Gruppe versammelt: der Fürst und der Professor aus Moskau, Alexander selbst und ein Mann aus St. Petersburg. Zum erstenmal gab der Professor Alexander Einblick in den wahren Sinn der Bruderschaft. »Wir suchen nichts Geringeres als die Schaffung einer neuen und moralischen Ordnung in der Gesellschaft«, erklärte er. »Wir werden sie vorwärtsbringen.«
»Sie meinen, ganz Rußland?«
»Nicht nur Rußland – mit der Zeit die ganze Welt«, sagte der Ältere ernst Alexander bekam eine Vorstellung davon, wie weit gespannt das Netzwerk der Rosenkreutzer war. Der Fürst fügte hinzu: »Wir werden auf den Großfürsten Paul mit der Bitte zukommen, unser Schirmherr zu werden.« Er lächelte. »Ich hoffe sehr, daß er akzeptieren wird.«
Der Thronerbe! Wenn er diesen seltsamen Mann auch nicht sonderlich schätzte, sah Alexander doch die ungeheuren Möglichkeiten, falls Paul ihr Schirmherr würde. Wir Rosenkreutzer könnten Rußland regieren, dachte er erregt.
In jüngster Zeit allerdings war der Professor höchst unzufrieden mit Alexander. Die Nachricht von dessen bevorstehender Heirat hatte er mit Freude aufgenommen. Doch nun hatte er ihm einen Brief geschrieben:
Ich kann nicht umhin zu erwähnen, lieber Bruder, daß mich bestimmte Nachrichten erreichten. Darin heißt es, in St. Petersburg sei es weithin bekannt, daß Sie trotz Ihrer kürzlichen Heirat Ihre Gattin vernachlässigen und Ihre Affäre mit einer gewissen Person fortsetzen.
Ich muß Sie davon in Kenntnis setzen, daß dieses Verhalten für uns nicht annehmbar ist Schauen Sie in Ihr Herz, ich bitte Sie, und entscheiden Sie, was Sie zu tun haben.
Obwohl Alexander dieses Schreiben pflichtgemäß verbrannte, hatte er es doch täglich vor seinem geistigen Auge. Sein Gewissen quälte ihn. Aber er konnte Adelaide nicht aufgeben. Bei seinem nächsten Zusammentreffen mit dem Professor in Moskau zeigte dieser sich entsprechend ungehalten.
»Die Mitglieder unseres inneren Zirkels müssen ein reines Gewissen haben, Bruder Alexander.« Dann fuhr er etwas freundlicher fort: »Eine Ehe ist nicht immer einfach, Alexander, doch wir alle rechnen damit, daß Sie sich klar entscheiden.« Alexander war sehr betroffen von der Heftigkeit des Professors und sagte, er wolle sich ändern. Und zu jenem Zeitpunkt meinte er das durchaus ernst.
Doch die Kluft zwischen ihm und Tatjana hatte sich weiter vertieft. Schuld daran war nicht nur seine Affäre mit Adelaide, sondern ein zweiter Grund, der immer wichtiger wurde. Es ging ums Geld. Es hatte allmählich begonnen. Er konnte kaum sagen, wann das eigentlich gewesen war. Zuerst waren es gelegentliche Erkundigungen wegen der Ausgaben für die Besitzungen und im Haushalt. »Weißt du denn, wie viele Bedienstete wir haben, Alexander?« fragte Tatjana, als sie drei Monate verheiratet waren. Er hatte keine Ahnung und wünschte es auch gar nicht zu wissen. Sechzig? Achtzig? »Und wieviel sie uns kosten?« fuhr sie fort. »Nichts«, war seine lapidare Antwort.
In gewisser Weise stimmte das sogar. Während Kaufleute und Ausländer ihre Dienerschaft gegen hohe Kosten anstellen mußten, holten die russischen Adligen sich Leibeigene von ihren Besitzungen. Da waren hundert nicht viel. Die Frauen arbeiteten in der Küche oder sonstwo außer Sichtweite; die Männer wurden als Lakaien in eine Livree gesteckt.
»Aber sie müssen immerhin essen«, wandte Tatjana ein. »Was kostet das?«
Wie zum Teufel sollte er das wissen! Das Essen kam irgendwoher und wurde gegessen. Der Besitz in Russka brachte Bargeld und Naturalien ein. Wagen mit Lebensmitteln trafen im St. Petersburger Haus ein, und diese waren im Nu verbraucht. Nach einer Weile begann Alexander sich über diese und ähnliche Fragen zu ärgern. Er fühlte sich kontrolliert. Was kosten wohl die riesigen Holzstapel für die Öfen? Warum haben wir so viele Kutschen, die wir nicht benützen? Sollen wir nicht wieder einmal die Besitzungen inspizieren?
»Dein Vater hat uns viel Geld gegeben. Wir brauchen uns nicht zu sorgen«, versicherte er ihr.
Tatsächlich hatte Tatjanas Vater bald nach der Hochzeit Alexanders finanzielle Situation herausgefunden. Und wenn Tatjanas Mitgift auch ausreichte, um Alexanders Schulden zu bezahlen – der baltische Adlige war jedenfalls nicht sonderlich angetan von der Finanzmisere des Schwiegersohns, und die Beziehung
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