Russka
mitreiten können! Seit dem Gespräch im Kloster hatte er ein schlimmes Jahr hinter sich. Wegen der Überfälle von Rumänen auf die Steppe war die Karawane mit Zhydovyn dem Chazaren vorläufig zurückgestellt worden. Igor hatte verschiedene Versuche unternommen, seinen Sohn in einem fürstlichen Haushalt unterzubringen, doch vergebens. Und nun waren sein Vater und seine Brüder hinter dem Werwolf her. Drei Wochen waren vergangen. Es hieß, das rebellierende Minsk sei gefallen und die Armeen seien weiter nach Norden gezogen. Danach herrschte wieder Stille.
An einem Nachmittag im frühen März hörte Ivanuschka das Stampfen und die Glöckchen eines Pferdes im Hof und lief hinaus, wo soeben eine hohe, finstere Gestalt aus dem Sattel stieg. Es war Svjatopolk. Er sah auf Ivanuschka hinunter. »Wir haben gewonnen«, bemerkte er kühl. »Vater ist mit Boris auf dem Rückweg. Er hat mich vorgeschickt, damit ich es Mutter erzähle.«
»Und der Werwolf?«
»Er hat verloren und ist ausgerissen. Er ist erledigt.«
»Was war in Minsk los?«
Svjatopolk lächelte. Warum hatte er nur einen so verbitterten Mund, selbst wenn er lächelte? »Wir haben alle Männer abgeschlachtet; die Frauen und Kinder haben wir als Sklaven verkauft.« Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Es gab so viele Sklaven, daß es den Preis auf eine halbe grivna pro Kopf gedrückt hat. Übrigens, es gibt gute Neuigkeiten für dich.«
»Für mich?«
»Vater wird es dir sagen.« Es schien, als sei Svjatopolk nicht sonderlich erfreut über diese guten Nachrichten. Er lächelte dünn, wandte sich dann ab. »Du mußt abwarten, bis er kommt«, sagte er und ging ins Haus.
Ivanuschka hörte den Freudenschrei seiner Mutter. Sie liebte Svjatopolk, das wußte Ivanuschka.
Die Nachricht, die der Vater am folgenden Tag brachte, war so herrlich, daß Ivanuschka sie kaum fassen konnte. Der jüngere Bruder des Fürsten von Kiev, Fürst Vsevolod, herrschte in der südlichen Grenzstadt Perejaslavl. Diese wunderschöne Stadt lag flußabwärts etwa sechzig Meilen von der Hauptstadt. Vsevolods Gattin war eine Prinzessin aus dem Herrscherhaus von Konstantinopel, aus der Familie Monomach, und ihr Sohn Vladimir war nur ein Jahr älter als Ivanuschka.
»Wir brauchen nur noch die beiden Jungen einander vorzustellen«, erzählte Igor stolz seiner Frau. »Vsevolod und ich wurden während des Feldzugs Freunde, und Vsevolod hat im Prinzip zugestimmt, daß Ivan dem jungen Vladimir als Page zugewiesen wird.«
»Das ist eine große Ehre, weißt du«, sagte die Mutter zu Ivanuschka. »Es heißt, daß dieser Vladimir begabt ist und eine große Zukunft vor sich hat.«
Ivanuschka war ganz außer sich. »Wann, wann?« Mehr konnte er nicht fragen.
»Ich nehme dich an Weihnachten mit nach Perejaslavl«, sagte Igor. »Bis dahin solltest du dich vorbereitet haben.« Und damit entließ er ihn.
»Ich werde ihn vermissen«, gestand Olga ihrem Mann. »Das ist das Los der Frauen«, war Igors kühle Antwort; er wollte nicht zugeben, daß es ihm ebenso erging. Kurz danach gab es einen kleinen Zwischenfall in den Ställen. Die drei Brüder waren zusammen. Boris hatte dem Jüngeren mit breitem Grinsen einen eher liebevollen Schlag auf den Rücken versetzt und war dann zum podol geritten. Ivanuschka und Svjatopolk blieben allein zurück.
»Nun, Bruder, war die Nachricht nicht gut?« fragte Svjatopolk leise, während er sein Pferd musterte. »Du hast dir das durch nichts verdient. Du solltest in die Kirche eintreten.«
»Aber das hat Vater…«
»Ja, es war Vater. Aber glaube ja nicht, daß du mich täuschen kannst. Jetzt sehe ich, was du wirklich bist, Kleiner. Du bist ehrgeizig. Du willst es besser machen als wir.«
Ivanuschka war so betroffen von diesem unerwarteten Angriff, daß er nicht wußte, was er darauf sagen sollte. Er starrte Svjatopolk verwirrt an.
»Ja«, fuhr der Bruder bissig fort, »die Wahrheit tut weh, nicht wahr? Du bist ein Intrigant, kleiner Ivan, eine kleine Natter.« Er zischte das letzte Wort heraus, daß es Ivanuschka fast wie ein Schlag traf. »Und sicher wartest du darauf, daß Vater stirbt«, fügte er hinzu. Ivanuschka hatte keine Ahnung, was das heißen sollte. »Was, glaubst du wohl, kostet es Vater, wenn du Mönch wirst? Ein paar Stiftungen ans Kloster. Aber deine neue Stellung bedeutet, daß du eines Tages das gleiche Erbe bekommst wie wir. Damit nimmst du auch mir etwas fort.«
Ivanuschka lief rot an. Tränen stiegen ihm in die Augen. »Ich will nicht, daß Vater
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