Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
kommt aus dem Geist und läßt sich nicht in Gesetze und Regeln zwingen. Wir sind weder Deutsche noch Holländer, noch Engländer. Wir sind Teil des Heiligen Rußland, das all diesen Ländern überlegen ist. Ich, ein Intellektueller, ein Europäer wie du, sagt dir dies.«
    »Du gehörst also zu dieser neuen Gruppe, die für Rußland außerhalb des übrigen Europa eine Sonderstellung beanspruchen, die man Slavophile nennt, wenn ich dich recht verstehe?« fragte Ilja. »Das stimmt«, antwortete Sergej, »und ich sage dir, Ilja, es ist die einzige Möglichkeit.«
    Schließlich umarmten sich die beiden Brüder innig, erfüllt von all diesen Gedanken, und gingen zu Bett. Am nächsten Morgen brach Sergej in die Ukraine auf. Alexej Bobrov war guter Laute, als er an diesem Augustmorgen durch Vladimir schlenderte. Vor seiner Abreise hatte er einen Brief seines Sohnes Mischa erhalten, in dem jener mitteilte, daß er auf dem Weg von seinem Regiment nach St. Petersburg für zehn Tage nach Russka komme. Also wird er hier sein, wenn ich wieder zurück bin, dachte Alexej.
    Der Sommer war gut vorübergegangen. Der verflixte Sawa Suvorin hatte sich ruhig verhalten. Arinas Tochter Varja hatte den jungen Timofej Romanov, Mischas Jugendgespielen, geheiratet. Alexej hatte beide gern. Die Romanovs verhielten sich immer respektvoll. Er war auch im Bezirk tätig gewesen, war dem Adelsmarschall als Beistand zugeordnet, dessen Pflichten weitgehend darin bestanden, die Register des ansässigen Adels auf dem laufenden zu halten. Nun hatte er Zeit übrig, und er machte Besuche bei den benachbarten Landbesitzern – um den Anschluß nicht zu verlieren, wie er es ausdrückte.
    Er war außerdem angenehm überrascht von Sergejs Frau. Er fand es erstaunlich, wie eine so sensible junge Frau seinen Bruder hatte heiraten können. Er stellte eine weitgehende Übereinstimmung zwischen ihr und sich fest. Leider schienen Tatjana und Ilja nicht sonderlich gut mit ihr auszukommen. Sie jedoch zeigte sich ihm von ihrer liebenswürdigsten Seite. »Ich finde es schlimm, daß Sergej mich in einem solchen Land zurückläßt«, sagte sie zu Alexej, »wo den ganzen Tag nichts los ist. Ich bin so froh, daß ich Sie zur Gesellschaft habe.«
    Alexej war auf dem Weg zu einem mehrtägigen Besuch bei einem benachbarten Landbesitzer über Vladimir gekommen. Er hatte soeben dem Gouverneur einen Besuch abgestattet und wollte die Kathedrale besuchen. Und an niemanden hätte er jetzt weniger gedacht als an die Person, der er in diesem Augenblick seine offenen Arme entgegenstreckte und rief: »Mein lieber Freund! Was machen Sie denn hier? Besuchen Sie uns doch wieder einmal!« Es war Pinegin.
    Die Willkommensfeier war wunderbar. Mischa war froh, wieder daheim zu sein. Er war einige Tage früher als erwartet in Bobrovo eingetroffen und freute sich, Sergejs Frau Nadja dort zu begegnen. Sie war nur ein paar Jahre älter als er, und er fand sie recht schön. Es war verständlich, warum Mischa Bobrov in seinem Regiment beliebt war. Er sah seinem Vater Alexej ähnlich, allerdings etwas kleiner und stämmiger. Intellektuell war er dem Vater weit voraus. Er unterhielt sich gern mit seinem Onkel Ilja über Lebensfragen. Mischa war optimistisch und temperamentvoll, und er nahm die Dinge leicht. Selbst Alexejs gelegentliche trübe Stimmungen lösten sich in Gegenwart des Sohnes meistens auf. Wie gewöhnlich widmete Mischa den ersten Tag den Menschen, die ihm am nächsten standen. Eine Stunde lang saß er bei seiner Großmutter, der restliche Vormittag gehörte Ilja. Mischa machte auch Besuche im Dorf, küßte Arina, schaute bei seinem Jugendfreund Tunofej Romanov und dessen Frau Varja vorbei. Kurz und gut, Mischa war daheim, und die Welt war im Lot. Dieser Fremde, Pinegin, interessierte ihn. Er hatte eine vage Erinnerung an den Mann aus seiner frühen Kindheit, der damals schon, wie heute, stets in einem weißen Uniformrock und mit einer Pfeife im Mund zu sehen war. Pinegin war in den Vierzigern, hatte sich jedoch bis auf ein paar Augenfältchen und die Tatsache, daß sein ehemals rötliches Haar ergraut war, kaum verändert. Er begrüßte Mischa mit einem freundlichen, wenn auch zurückhaltenden Lächeln. Pinegin versuchte, sich bei Sergejs Frau Nadja beliebt zu machen, gab für sie und Tatjana auf der Veranda seine Anekdoten zum besten oder begleitete sie auf ihren Spaziergängen in der Allee. Am zweiten Nachmittag schlenderte Mischa dort hinauf, um die beiden zu treffen. Wie vor den

Weitere Kostenlose Bücher