Russka
bestimmt eine bessere Ehefrau.
Nadeschda Suvorin hatte große, kluge Augen und wundervolles kastanienbraunes Haar. Sie durfte es offen tragen, und so fiel es in leuchtender Fülle weit über ihre Schultern. In dem Taftkleid, den Seidenstrümpfen, den mit Satinschleifen geschmückten Schuhen und einem großen, breitkrempigen Hut sah sie bezaubernd aus. Nadeschda wußte für ihr Alter erstaunlich viel. Wie hätte es auch anders sein sollen? Das Schicksal hatte ihr einen wesentlich älteren Bruder beschert – als sie sechs Jahre alt war, studierte er bereits im Ausland. So war es ganz natürlich, daß der Vater sich dieses kluge kleine Mädchen als Vertraute suchte. Sie kannte jedes Gemälde in dem großen Haus. Da gab es zeitgenössische Russen: Repin, Surikov, Seron, Levitan beschworen auf wundervolle Weise die russische Landschaft herauf. Im Eßzimmer hing ein Porträt ihrer Mutter von der Hand des Malers Repin und eines ihres Vaters, gemalt von Vrubel. Am liebsten jedoch führte das Mädchen die Besucher durch jene Räume, die Vladimirs Sammlung europäischer Malerei vorbehalten waren. Erwachsene Russen, die mit diesen Schätzen kaum vertraut waren, hörten sie überrascht vor sich hin plappern: »Das ist ein Monet, und hier ein Cezanne. Renoirs nackte Frauen haben immer die gleichen Gesichter, finden Sie nicht?« Oder: »Das hier ist von Gauguin. Er ist von seiner Frau und seinen Kindern weggegangen und nach Tahiti gefahren.« Von seiner letzten Parisreise hatte der Vater ihr sogar kleine Bilder von zwei jungen Künstlern mitgebracht, von Picasso und Matisse. »Sie stehen erst am Anfang, deshalb habe ich sie für dich gekauft«, meinte er.
Vladimir nahm die Kleine gern mit sich und zeigte ihr seine Welt. Als Förderer der schönen Künste war er viel unterwegs und kannte jeden. Nadeschda war schon in St. Petersburg bei einem Ballettabend der großen Pavlova gewesen; sie hatte den berühmten Tolstoj in seinem Moskauer Haus besucht und kannte alle Schauspieler des Moskauer Theaters.
Nadeschda liebte ihren Vater und fragte sich oft, warum ihre Mutter sich ihm gegenüber so kühl verhielt. Nach außen hin schienen sie einander sehr zugetan, doch das Kind beobachtete sehr genau. Vladimir nahm sie, die Tochter, als Begleitung mit, nicht die Mutter. Nadeschda hatte gesehen, wie die Mutter sich, wenn der Vater sich ihr unauffällig näherte, abwandte. So kam es, daß das Mädchen dachte, es würde dem Vater eine bessere Ehefrau sein. Nachdem Frau Suvorin den letzten Brief beendet hatte, stand sie auf. Sie war in der Tat eine auffallende Frau. Mit ihrer hohen, kräftigen Gestalt, den Kopf stolz zurückgeworfen, mit ihren braunen Augen gleichsam auf die Welt herabblickend, hatte sie etwas Fürstliches. Wie die Frau eines Kaufmanns sah sie jedenfalls nicht aus. Wenn Männer Frau Suvorin ansahen, und das taten sie immer, bemerkten sie die sanft geröteten Wangen, die blasse Haut ihrer wundervoll gerundeten Schultern, ihre vollendet schönen Brüste, und sogleich fühlten sie die gezügelte Sinnlichkeit, die auch die Eleganz der Erscheinung nicht verbergen konnte. Frau Suvorin stand in der Blüte ihrer Jahre.
Als sie sich erhob, spürte sie Nadeschdas Augen auf sich und blickte ihre Tochter nachdenklich an. Diese wäre überrascht gewesen, hätte sie geahnt, daß ihre Mutter sehr wohl wußte, was in ihrem Kopf vorging. Die Mutter wußte es seit langem, und deshalb fühlte sie sich schuldig. Als sie den forschenden Blick spürte, dachte sie daran, daß es in ihrem Leben Dinge gab, die sie Nadeschda noch nicht erklären konnte. Vielleicht, wenn sie älter war, vielleicht aber auch niemals. Was auch meine Fehler sein mögen, dachte sie betrübt – wenigstens bin ich diskret. »Ich muß mich jetzt umkleiden«, sagte sie rasch. Alexander Bobrov hielt den Atem an. Natürlich hatte er immer gewußt, daß sein Idol Suvorin ein reicher Mann war. Dieses Haus entsprach seiner Position; es gehörte zu dem halben Dutzend ehemaliger Fürstenpaläste, die in den vergangenen Jahrzehnten in die Hände neuer Kaufmannspersönlichkeiten wie Suvorin übergegangen waren.
Da sie noch Geschäftliches mit Suvorin zu besprechen hatten, waren Nikolaj und Alexander Bobrov vor den übrigen Gästen gekommen, und während sie auf den Hausherrn warteten, sah Alexander sich aufmerksam in dem Raum um, in den man sie geführt hatte. Er war lang, hoch und wie eine Kirche überwölbt. In der Mitte stand auf einem überdimensionalen Orientteppich ein
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