Russka
ruhig. »Es war interessant, das zu beobachten. Morgen oder übermorgen oder irgendwann wird man dich kriegen. Und dann rette ich dich nicht. Inzwischen aber wirst du erfahren, daß du nicht besser bist als ich, im Gegenteil, du bist schlimmer. Du bist ein Nichts.« Damit drehte er sich um und ging davon.
Alexander blickte hinter ihm her und überlegte, ob Popov wohl recht habe. Am folgenden Tag brachen die Bobrovs nach Finnland auf.
In den letzten Monaten waren mit Vladimir Suvorin große Veränderungen vor sich gegangen.
Einen Schwächeren hätten die Ereignisse jenes Frühlings wohl zerbrochen.
Eine Woche nach der Abreise seiner Frau wurde er vor die Tscheka gerufen und nach ihrem Aufenthalt gefragt. Er erklärte in aller Offenheit, sie sei nach Finnland gereist. »Wir schätzen Ihr Vermögen auf fünfundzwanzig Millionen Rubel«, bemerkte einer der Männer. »Was haben Sie dazu zu sagen?«
»Ich wußte nicht, daß ich so viel besitze«, antwortete Vladimir höflich und wahrheitsgemäß. »Das wird auch nicht mehr lange so sein.«
Im März des Jahres 1918 wurde Vladimir mitgeteilt, daß sein Jugendstilhaus nunmehr dem Staat gehöre; zwei Tage darauf wurde es zum Museum umfunktioniert. Im April übernahm man Suvorins Fabriken in Russka und Ende Mai seine Moskauer Betriebe. Im Juni hatte Vladimir keinerlei Befugnisse mehr. Da er nie besonderes Interesse an Geschäften außerhalb Rußlands gehabt hatte, sofern es sich nicht um Kunst handelte, hatte er auch nie im Ausland investiert. Suvorins einzige Standorte befanden sich in London und Paris, wo sein Sohn und er erworbene Kunstgegenstände lagerten. Außerdem gab es im Ausland genügend Mittel, von denen Frau Suvorin eine Zeitlang leben konnte. Nun also war Vladimir ein armer Mann.
Er wurde allerdings nicht persönlich schikaniert. Als sein Haus zum Museum gemacht wurde, erhielt er den persönlichen Besuch von Minister Lunatscharskij, einem zuvorkommenden Mann, der sogleich zur Sache kam: »Das Museum braucht einen Kustos, mein Lieber. Wer wäre besser geeignet als Sie? Nadeschda kann Ihre Stellvertreterin werden.«
Die Suvorins erhielten die Erlaubnis, die kleine Wohnung an der Rückseite des Hauses zu beziehen, die früher der Hausmeister bewohnt hatte. So kam es, daß Vladimir täglich Arbeitergruppen würdevoll durch die Räume führte. Nadeschda ihrerseits versuchte, Bäuerinnen etwas über Picasso zu erzählen, oder aber sie wischte den Boden.
Die Katastrophen seines Lebens zeigten ihre Spuren auch an Vladimirs äußerer Erscheinung. Er verlor an Gewicht, so daß die Kleider viel zu weit um seine hohe Gestalt hingen, und sein Gesicht schien um Jahre gealtert. Der Unterkiefer wirkte länger, die Augen lagen tiefer in den Höhlen, die Nase wurde länger und zugleich fleischiger. Schließlich sah Vladimir genauso aus wie sein Großvater, Sawa Suvorin.
Er beobachtete die Ereignisse sehr genau. Im Frühjahr hatte sich eine wichtige Entwicklung abgezeichnet, die seinen neuen Status stützen oder zerbrechen konnte: Unter Lenins unmittelbarer Leitung war mit Deutschland in Brest-Litovsk ein Friedensvertrag unterzeichnet worden, der alle deutschen Ansprüche erfüllte. Polen, Litauen, Estland und Lettland hatte Rußland abzutreten, ferner mußte man Finnland und die Ukraine als unabhängige Staaten anerkennen. Das war im Hinblick auf landwirtschaftliche Reserven und Erzvorkommen ein verheerender Verlust. Da Rußland nun nicht mehr der tatsächliche Verbündete der Westmächte war, veranlaßte der Friedensvertrag diese zu einem sehr genauen Blick auf die neue sozialistische Regierung, deren Führer sich lange und intensiv mit der Frage einer Weltrevolution beschäftigt hatten. Im Sommer hatte britisches Militär bereits einen Brückenkopf im hohen Norden errichtet, und bald darauf waren japanische Truppen im fernen Vladivostok an der Pazifikküste gelandet. Auch andere Streitmächte waren nicht untätig. Weit unten im Süden bereiteten sich die Don-Kosaken auf einen Widerstand gegen die Bolscheviken vor. Weitere Oppositionsgruppen sammelten sich im Osten jenseits der Wolga. Der sichtlich beunruhigte Lenin war emsig damit beschäftigt, eine neue Rote Armee aufzustellen. »Es wird zum Bürgerkrieg kommen«, sagte Vladimir zu Nadeschda. Er beobachtete still, sehr aufmerksam. Der Juni ging vorüber, dann der Juli. Ende Juli kam die Nachricht, die auch über Vladimirs Schicksal entschied. Man hatte den Zaren erschossen.
Dimitrij sah nachdenklich von seinem Onkel
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