Ruth
auf keinen anderen
Feldern als den meinen Ähren lesen“, sagte Boas barsch. „Und ermahne auch die
jungen Männer, sie nicht zu belästigen.“
„Das wird nicht leicht sein“,
lachte Joseph, aber Boas warf ihm einen eisigen Blick zu, der die Fröhlichkeit
auf seinem Gesicht erlöschen ließ.
Ruth schritt über das Feld, die
losen Ähren aufsammelnd, und war jetzt in ihrer Nähe. „Bleibe in der Nähe meiner
Knechte, Ruth“, rief Boas ihr zu. „Wenn du durstig bist, trink von dem klaren
Wasser, das meine Schnitter geschöpft haben.“
„Danke.“ Sie senkte höflich den
Kopf.
„Und verbeuge dich nicht vor
mir“, sagte er schroff. „Du bist nun in Israel, nicht in Moab.“
7
Die Arbeiten an der Mauer waren
am späten Nachmittag beendet. Als Joseph und Boas auf ihrem Weg nach Hause
durch die Stadt ritten, kamen sie an Tobs Laden vorbei. Wie alle anderen Läden
der Umgebung war auch dieser zur Straße hin offen, die Waren lagen in Bündeln
und Haufen auf dem Boden. Und wie die übrigen Ladenbesitzer saß Tob auf einem
kleinen Podest, das mit einem Kissen bedeckt war, am Ladeneingang. Die Sklavin
Ada hielt sich im Hintergrund auf, wo sie achtgeben konnte, daß nicht etwa ein
Kunde unter seinem Gewand einen Ballen Stoff oder ein kleines Eisengerät aus
den Werkstätten der philistäischen Schmiede versteckte und aus dem Laden trug,
ohne zu bezahlen.
„Friede sei mit dir, Boas“,
rief Tob salbungsvoll von seiner Plattform herunter. „Komm, trink einen Becher
Wein mit mir, wie es Verwandte tun sollten.“
Boas zögerte einen Augenblick,
stieg dann aber vom Pferd und betrat den Laden. Aus einem kleinen Kasten an der
Rückseite der Plattform nahm Tob drei silberne Becher und stellte sie auf den
Boden neben sich und füllte sie aus einem Krug, der mit einem feuchten Tuch
umwickelt war, um ihn kühl zu halten.
„Wie steht es mit der
Ausbildung der jungen Männer?“ fragte er, als sie getrunken hatten.
„Während wir auf die
Pfeilspitzen aus den Schmieden warten, werfen wir mit Stöcken“, sagte Boas.
„Aber sie gewinnen jeden Tag mehr an Geschicklichkeit.“
„Wußtest du, daß unsere
Verwandte, Noëmi, aus Moab zurückgekehrt ist?“
„Ja.“ Boas runzelte die Stirn.
„Sie hat mir auch gesagt, daß sie dein Haus mitten in der Nacht verlassen
haben.“
„Es war nur ein kleines
Mißverständnis.“ Tob leckte sich die Lippen. „Diese Moabiterin ist wahrhaftig
eine Freude für die Augen. Ihr Haar hat die Farbe der untergehenden Sonne. Und
die Haut ihres Körpers ist weich wie Daunen.“
„Was sind das für Lügen?“ fuhr
Boas auf. „Ihr Haar konntest du sehen, aber ihren Körper...“
Tob machte eine gekränkte
Miene. „In der Nacht versuchte sie, mich mit ihren verborgenen Reizen zu
verführen. Ich wies sie zurück, aber seitdem geht sie mir nicht mehr aus dem
Sinn.“
Boas packte seinen Verwandten
am Kleid. „Ich werde dir die Zunge herausreißen, wenn du lügst, Tob. Ich kenne
diese Frau. Sie ist nicht das, was du sagst.“
Tob hatte nur geprahlt, aber
jetzt fürchtete er sich, denn er hatte Boas noch nie so wütend gesehen. „Ich
sage die Wahrheit, Boas“, keuchte er. „Ich schwöre es.“
„Deine Schwüre sind so falsch
wie deine Worte. Nimm sie zurück oder...“
„Es ist so, wie mein Herr sagt,
edler Boas.“ Keiner von ihnen hatte bemerkt, wie Ada aus dem Schatten des
hinteren Ladenteils gekommen war, „Ich sah ihn in dieser Nacht aus dem Zimmer
der moabitischen Frau kommen.“
Boas starrte die Sklavin an,
aber er konnte sie keiner Lüge beschuldigen. Ihre Aussage war freiwillig
erfolgt, und Tob hatte sie nicht gebeten, ihn zu unterstützen.
„Ich werfe es der Moabiterin
nicht vor, daß sie versucht hat, mich zu betören, Boas“, sagte Tob hastig.
„Tatsächlich habe ich die Absicht, mein Recht als nächster Verwandter in
Anspruch zu nehmen und sie zu meiner Frau zu machen.“
Boas ballte die Fäuste, und
einen Augenblick lang schien es, als ob er Tob schlagen wollte. Dann drehte er
sich um, riß die Zügel seines Pferdes vom Futtergestell vor dem Laden, sprang
in den Sattel und galoppierte die Straße hinunter.
Noëmi wartete am Brunnen, als
die Schnitter bei Sonnenuntergang von den Feldern zurückkehrten. Die Frauen,
die Ähren gelesen hatten, folgten den Männern, lachten und scherzten mit ihnen.
Hinter ihnen trottete eine einsame Gestalt — Ruth. Sie war todmüde und sah
nicht einmal auf, bis Noëmi zu ihr ging und ihren Arm nahm. Da
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