Ruth
werde ich mit dir
darüber sprechen, Josko.“ Boas schüttelte die Hand des kleinen Mannes von
seinem Arm ab.
„Aber glaubst du, daß sie mich
mag?“
„Du hast gehört, was ich
sagte“, antwortete Boas barsch. „Ein andermal.“
9
Der Abschluß der Ernte bildete
den Auftakt zu einer Zeit des Feierns, und sie begann mit dem Fest der ersten
Früchte. Eine Woche später würde dann ein weiteres, vollkommen anderes Fest
folgen, das auf dem offenen Platz aus festgestampfter Erde vor den Garben, die
„Tenne“ genannt, stattfinden sollte. Das Fest der ersten Früchte wurde dagegen
in einem schattigen Wäldchen inmitten der Felder gefeiert, auf denen das Korn
gereift war.
Am späten Nachmittag begannen
die Leute aus der Stadt zu diesem Wäldchen hinauszuströmen. Eine Gruppe von
Musikanten führte die Prozession mit einer Danksagungshymne an. Sie begleiteten
die Sänger auf Flöten, Tamburinen, Psaltern, dem Schofar und anderen
Instrumenten.
Ruth wollte an dem Fest nicht
teilnehmen, da sie sich erinnerte, wie die Frauen sie auf den Feldern gemieden
hatten. Aber Noëmi bestand darauf, daß sie mitging, und als sie sich der
singenden Menge angeschlossen hatte, war sie doch beeindruckt von der
Feierlichkeit und Freudigkeit dieses Ereignisses. Noëmi hatte ihr an jenem Tag
in Heschbon, bevor sie und Machlon geheiratet hatten, von der Freude erzählt,
die die Israeliten empfanden, indem sie dem Herrn dienten. Ruth konnte das
jetzt verstehen, denn sie fühlte diese Freude selbst.
Auf einem offenen Platz war ein
Altar aus Steinen errichtet worden. Auf ihm brannte ein Feuer, und ein bärtiger
alter Mann mit einem gütigen Gesicht — der Vorsänger — stand davor. Während er
wartete, trat die Menge zur Seite und ließ eine Gruppe von Kindern durch. Eines
trug ein Bündel Gerste, ein anderes ein paar Weintrauben, ein drittes ein
Hühnchen und das vierte ein kleines Lamm, das eben erst geboren war.
Der Vorsänger nahm die Gaben
entgegen und legte sie auf den Altar, wo sie von den Flammen verzehrt werden
sollten. Zuerst das Korn, dann die Früchte, dann das Huhn und schließlich das
Lamm. Nach der rituellen Tötung wurde alles dem Allerhöchsten als Danksagung
dargebracht. Während der Rauch des Opfers in der Windstille des Nachmittags zum
Himmel stieg, führte der Vorsänger die Menge im Gesang eines Dankgebets zu Gott
an, der ihnen diese Gaben geschenkt hatte.
„Unsere Herzen freuen sich im
Herrn; er belebt den trockenen Samen in der weichen Erde; er erfrischt das Land
mit Regen; er läßt den ausladenden Olivenbaum wachsen; der warme Wind des
Ostens ist sein Atem; er bringt den Samen des Grases und den Wein und die Bäume
zur vollen Reife; er breitet vor den Menschen ein Festmahl im Lande aus;
gepriesen sei der Herr, heilig ist sein Name.“
„Laßt uns fröhlich sein im
Angesicht des Herrn ob seiner vielen Wohltaten“, forderte der Vorsänger, als
das Gebet zu Ende war. „Laßt uns singen und tanzen zu seinem Lob.“
Augenblicklich stimmten die
Musikanten eine fröhliche Weise an, und die jüngeren Leute begannen auf dem
kurzgemähten Gras des Platzes zu tanzen. Es war ein Tanz der Freude, mit viel
Gelächter und Geschrei, wenn die Tänzer die Arme ausstreckten, um immer mehr
Leute in den Kreis zu ziehen. Endlich blieben nur die Alten, die um die
Tanzfläche herum saßen, und ein paar andere, die nicht tanzen wollten, übrig.
Ruth und Noëmi standen an der
Seite des Platzes. Beim Anblick der fröhlichen Tänzer begannen Ruths Augen zu
glänzen, und ganz unbewußt bewegte sie ihren Fuß im Takt der Musik.
Boas und Joseph waren unter den
Leuten, die die Tänzer beobachteten. Der junge Mann übersah nicht, daß Boas’
Blick hin und wieder suchend über die Menge schweifte.
„Suchst du jemanden?” fragte er
lächelnd. „Sie ist dort drüben.“
Boas sah Ruth, und ein warmes
Licht trat in seine Augen.
„Wirst du tanzen?“ fragte
Joseph. „Ich kann sehen, daß sie es gern tun würde, so wie ihr Fuß den Takt zur
Musik tritt.“
„Du weißt, daß ich nicht mehr
tanze“, sagte Boas. „Ich habe nicht den Wunsch, mich zum Narren zu machen.“
Joseph grinste. „Nun, da du
mich oft so nennst, will ich meinem Namen Ehre machen — mit deiner Erlaubnis.“
Er machte vor Boas eine spielerische Verbeugung und bahnte sich seinen Weg zu
Ruth und Noëmi.
„Oh, ich kann nicht…“, sagte
Ruth schnell, als er ihr seine Hand entgegenhielt.
„Warum nicht? Du bist hübscher
als alle
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