Ruth
nichts, was eine andere Nation besitzt. Wenn
das Schwert gezogen werden muß, sage ich, laßt es andere zuerst ziehen. Dann
werden wir uns verteidigen. Aber laßt uns Güte, Gerechtigkeit und Liebe
füreinander als Waffen gegen das Böse beibehalten, solange wir es können. Die
Heiden zu beleidigen, indem wir die alten Gesetze zu Hilfe rufen, die in Kanaan
so viel Schaden angerichtet haben, als unser Volk sich seinerzeit hier
ansiedelte, ist weder gütig noch gerecht. Und es ist meiner Überzeugung nach
nicht der Weg, den der Allerhöchste für uns bestimmt hat.“
„Wenn wir nun diese Gesetze
einführten, Boas“, sagte Tob in einem letzten Versuch, seinen Verwandten in ein
schlechtes Licht zu rücken, „wärst du dann immer noch bereit, unsere Krieger
zur Verteidigung Judas in den Kampf zu führen?“
„Die Verteidigung des Landes,
das Gott uns gegeben hat, ist ein Teil meiner Pflicht dem Herrn gegenüber“,
antwortete Boas schlicht. „Nichts, was wir hier im Rat tun können, wird etwas
daran ändern.“
„Du hast wohl gesprochen,
Boas“, sagte Natan ruhig. „Ich stimme gegen eine Änderung der Gesetze.“
„Ich auch“, stimmte Zadok bei.
Und so waren sich alle im Rat einig, jedermann unterstützte Boas. Tob, der
seinen Mißerfolg erkannte, gab sich so würdevoll wie möglich geschlagen, kochte
aber innerlich vor Zorn darüber, daß Boas seinen narrensicher erscheinenden
Plan zunichte gemacht hatte.
Als die Versammlung aufgehoben
wurde, ging Boas mit Natan und Zadok hinaus. Er kannte beide als fromme und
gottesfürchtige Männer, wenn sie vielleicht auch ein bißchen zu sehr zur
Vorsicht neigten, mehr als er unter den gegebenen Umständen für angebracht
hielt.
„Ich bin froh, daß du es uns in
einer so gefahrvollen Zeit ausgeredet hast, einen dummen und gefährlichen
Schritt zu tun, Boas“, sagte Natan herzlich. „Wenn Tob mich nicht irregeführt
hätte...“
„Stand Tob dahinter?“
„Aber ja. Er sprach gestern
über eine Stunde lang mit mir darüber.“
„Und auch mit mir“, ergänzte
Zadok. „Ich werde ihm noch heute gehörig meine Meinung sagen...“
„Nein“, unterbrach ihn Boas.
„Laßt Tob sein. Dies ist eine Angelegenheit zwischen ihm und mir!“
11
Nachdem sein erster Angriff
mißlungen war, versäumte Tob keine Zeit damit, den zweiten und, was ihn selbst
betraf, reizvolleren einzuleiten. Ruth verließ das Haus bei der Weinkelter am
frühen Morgen, um auf einem Feld, das in einiger Entfernung von Betlehem gemäht
wurde, Ähren zu lesen. Bevor die Sonne zwei Stunden am Himmel stand, klopfte es
an die Tür. Noëmi öffnete und sah Tob. Hinter ihm standen in ein paar Meter
Entfernung zwei Männer.
„Was willst du?“ forschte sie.
„Wo ist die Moabiterin, die
Witwe deines Sohnes Machlon?“
„Sie ist vor deinen Händen
sicher. Was hast du mit ihr vor?“
„Ich bin gekommen, um ihr den
Schutz meines Hauses und eine Ruhestatt in der Ehe anzubieten.“
„Ich weise das Angebot in ihrem
Namen zurück“, sagte Noëmi verächtlich.
Tob hob die Schultern. „Du
kennst das Gesetz, Noëmi. Ich bin der nächste Verwandte deines Mannes
Elimelech. Sein Besitz ging auf Machlon, den ältesten Sohn, über, deshalb habe
ich das Recht des nächsten Verwandten auch gegenüber Machlon.“
„Das ist wahr“, sagte Noëmi
wachsam.
„Wenn ich den Besitz Elimelechs
und Machlons kaufe“, sagte Tob selbstsicher, „kaufe ich Machlons Witwe als
meine Ehefrau. Auch das ist Gesetz.“
„Wie willst du das Geld dafür aufbringen?“
fragte Noëmi. „Es wird allgemein in Betlehem davon gesprochen, daß du jedem
schuldest. Und Boas das allermeiste.“
„Ich kann eine Anzahlung
machen. Dann kann die Moabiterin nicht heiraten, bis ich alles bezahlt habe
oder auf meinen Anspruch als nächster Verwandter durch Übergabe meines Schuhs
an einen anderen Mann verzichte.“ Er grinste Noëmi an. „Und meine Schuhe werden
an meinen Füßen bleiben, bis Ruth am Hochzeitsbett die ihren auszieht.“
Noëmis Herz wurde schwer. Sie
wußte, daß das, was Tob sagte, nach den Gesetzen Israels der Wahrheit
entsprach, jenen Gesetzen, die zu verletzen jedem Diener des Gottes Isaaks und
Jakobs bei Todesstrafe verboten war.
„Du siehst, ich bin im Recht,
Noëmi“, fuhr Tob fort. Bevor sie gewahr wurde, was er tat, hatte er einen
kleinen Beutel mit Münzen aus seinem Gürtel gezogen. Mit rascher Bewegung warf
er ihr den Beutel zu, und Noëmi fing ihn, ohne zu denken, instinktiv
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