Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
mußte sich erst beruhigen - und vor allen Dingen, er mußte den Zusammenhang wissen.
Er kam zurück, ging zur Treppe - da riß ich die Tür auf. Ja, in der Tat: er hatte den Rohrstock in der Hand.
„Dr. Rywig - kommen Sie schnell - ein Auslandsgespräch für Sie.“
Er drehte sich um, sah mich ungläubig an. „Ein Auslandsgespräch?“
„Ja - Eilgespräch - vom Karolinska Institut in Stockholm.“ Wie ein Blitz war es mir durch den Kopf geschossen, daß ich gestern einen Brief an den Doktor angenommen hatte. Einen umfangreichen Brief mit schwedischer Marke und dem Aufdruck auf dem Umschlag „Karolinska Institut“.
Dr. Rywig drehte sich um und ging ins Arbeitszimmer, wo das Telefon stand. Ich hinterdrein.
„Was zum Kuckuck ist das für ein Unsinn? Der Hörer liegt ja drauf?“
Ich stellte mich mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür und war wild entschlossen - ehe ich den Weg freigäbe, müßte der Doktor den Rohrstock auf mir tanzen lassen.
„Ja, der Hörer liegt drauf - und es ist kein Auslandsgespräch angemeldet - aber Sie dürfen Bernt nicht schlagen. Begreifen Sie denn nicht, daß Sie im Begriff sind, den Jungen...“
Der Doktor wurde kreidebleich im Gesicht vor Zorn, und seine Hand krampfte sich fester um den Stock.
„Fräulein Hettring, Sie nehmen sich Dinge heraus, die.“
„Ich nehme es mir heraus, Ihrem Kind zu helfen, zum. zum Donnerwetter! Sie sind so verblendet durch Ihren kleinen blondgelockten Bengel, daß Sie sich nicht einmal so viel Mühe machen, zu untersuchen, wie Bernt zu dieser Verzweiflungstat gekommen ist. Sie wollen jetzt einreißen, was ich so mühselig aufgebaut habe.“
„Nun werde ich Ihnen mal was sagen“, stieß der Doktor zwischen den Zähnen hervor. „Hier haben Sie sich nicht im geringsten einzumischen, schließlich bin ich der Vater des Jungen.“
Jetzt konnte ich nicht mehr an mich halten. Meine Tränen flossen ebenso unaufhaltsam wie vorher Hansemanns.
„Allerdings, Sie sind der Vater des Jungen, und Gott allein weiß, wen Sie im Augenblick mit dem Jungen meinen. Denken Sie daran, daß Sie der Vater beider Jungen sind. Und das will ich Ihnen sagen, wenn Sie Bernt heute verhauen, dann sind Sie morgen ohne Wirtschafterin. Müssen Sie jetzt in der Aufwallung des ersten Zorns alles zerstören, wofür ich gearbeitet und mich geplagt habe? Ich fand hier vier vernachlässigte und vermurkste Kinder vor - nein, die Zwillinge waren nicht vermurkst, die haben einander, und die haben sich gegenseitig einen Halt gegeben - aber Bernt war verschlossen und unglücklich, und Ihr kleiner Engelsjunge war so verzärtelt, daß es schon nicht mehr schön war. Nein, lassen Sie, jetzt kriegen Sie alles auf einmal zu hören. Ihre Kinder waren heil und sauber angezogen und hatten anständige Manieren, das war aber das einzige
- haben Sie gehört? Das einzige - was Sie an Gutem aus ihrer Kinderstube mitbekommen haben. Niemand hat ihnen Liebe entgegengebracht, niemand hat sich mit ihnen abgegeben, Sie als Vater wissen ja kaum, womit sich Ihr ältester Sohn beschäftigt. Sie verziehen Hansemann und überlassen es hinterher anderen, ihn wieder zurechtzubiegen. Sie jagten Bernt in sich selbst zurück, so daß er sich ganz verkrampfte. Ich mußte Sie erst darauf aufmerksam machen, daß Bernt nur darauf wartete, Ihnen zu helfen, seinem Vater ein Kamerad zu sein. Sie sollen heute wissen, was Bernt am
Nachmittag erlitten hat. Bernt hat in seinem Leben niemals einen guten und liebevollen Vater dringender gebraucht als gerade heute. Bernt hat viel, viel mehr Grund, verzweifelt zu sein, als Hansemann. Aber das interessiert Sie wohl kaum! Sie könnten es sich wohl nicht vorstellen, heute mal kameradschaftlich zu Ihrem Ältesten zu sein? Sie können sich wohl nicht denken, Ihrem Sohn in einem Augenblick beizustehen, wo er Ihres Beistandes so bitter bedarf? Es muß Schluß damit sein, daß Sie sich durch Hansemanns blonde Locken blind machen lassen. Sie dürfen nicht schlagen - ich lasse es nicht zu, daß Sie schlagen!“
Ich war vor Tränen meiner Stimme kaum mächtig, ich hatte geschluchzt und geschnauft und hatte, ohne es selber zu wissen, meinen Platz an der Tür verlassen. Ich stand dicht vor dem Doktor, ich hatte alles auf eine Karte gesetzt, hatte meine Meinung gesagt -und jetzt, nach meinen letzten Worten „ich lasse es nicht zu, daß Sie schlagen“ - jetzt schluchzte ich wild auf - und dann - dann zuckte ich zusammen, wie von einer Wespe gestochen. Denn hinter mir hörte ich
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