Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden
eine Weile. Dann kam es leise, so leise, daß ich es
kaum hören konnte: „Ich bin so schrecklich allein.“
Wieder streichelte ich ihren Kopf.
„Wie gut, daß Sie gekommen sind. Aber wie haben Sie mich gefunden?“
„Ich wußte, daß Peter und Rolf Sie manchmal besuchen. Vor ein paar Wochen schrieb ich einer Kommilitonin hier in Kiel und fragte, ob sie etwas über Peter wüßte. Denn ich hatte ihm mehrmals geschrieben und nie eine Antwort bekommen. Sie schrieb mir dann, daß er öfters mit Rolf zusammen sei und mit der Schwester von Rolfs Freundin. Wissen Sie, Sie beide fallen ja auf wegen der Ähnlichkeit. Der eine sagt dem anderen: ,Habt ihr diese unglaublich gleich aussehenden Zwillinge gesehen’ - ja, und ich wußte, daß Senta bei Frau von Waldenburg wohnt.“
„Aber wie konnten Sie wissen, daß ich heut mit Peter ausgehen wollte?“
„Das - das habe ich mir gedacht. Ich war heut früh bei Peter. Ich bin die Nacht durchgefahren und ging direkt zu ihm.“
Sie schluckte. Es kostete sie Mühe, weiterzusprechen.
„Er - er sagte, daß er keine Zeit habe. Er müsse zu einer Vorlesung. Dann fragte ich, ob er heut nachmittag Zeit habe. Er müsse verstehen, daß ich mit ihm sprechen müsse... und dann... dann sagte er. er hätte nichts mit mir zu besprechen, und. er hätte keine Zeit, er hätte heut nachmittag eine Verabredung. Wenn Peter eine Verabredung hat, ist es immer mit einem Mädchen. Ich versuchte ihm noch etwas zu sagen, aber dann...“
Jetzt zitterte ihre Stimme, und sie konnte nicht weitersprechen. „Hat er Sie einfach rausgeworfen?“ fragte ich leise.
Sie nickte.
„Ja. Zur Tür rausgeschubst. Als ich noch etwas sagen wollte, murmelte er nur... vielleicht glauben Sie es mir nicht - aber es ist wahr! So wahr es ist, daß ich sein Kind trage! Er sagte: ,Hau doch endlich ab, scher dich zum Teufel!’“
Ich fühlte, daß meine Wangen eiskalt und blaß wurden. Ich mußte mich gewaltig zusammennehmen, um wieder zu sprechen:
„Aber Anke, wieso dachten Sie gleich, daß er ausgerechnet mit mir diese Verabredung hatte?“
„Weil Sie nur zu Besuch hier in Deutschland sind. Weil Sie vielleicht bald nach Hause fahren. - Tun Sie das?“
„Ja. In etwa drei Wochen.“
„So war es auch mit mir damals. Peter und ich trafen uns manchmal bei gemeinsamen Bekannten, auf Partys, beim Tanzen und so. Ich war verliebt in ihn, das gebe ich zu. So auf Abstand. Er hatte nie ein besonderes Interesse für mich gezeigt. Dann tanzte er eines Abends mit mir, und ich erwähnte, daß ich in zwei Wochen Kiel verlassen würde. Da sagte er, daß... daß es schade sei, und er sei dumm, daß er die Zeit nicht besser ausgenutzt habe.“
Ich nickte.
„Dann lud er Sie ein zum Kino und zum Tee.“
„Ja. So war es. Und später, als. das mit Peter und mir geschehen war, bekam ich zu wissen, daß er es immer so machte. Er hat nie eine feste Freundin wie die anderen Jungens. Er flattert von dem einen Mädchen zum anderen, und besonders zu denen, die er voraussichtlich nicht wiedertreffen wird. Studentinnen, die die Universität wechseln, so wie ich.“
„... oder Ausländerinnen, die nach Hause fahren, so wie ich“, sagte ich. Ich sah Anke an, und ich fragte:
„Sind Sie nun hergekommen, um mich zu warnen?“
Anke zögerte einen Augenblick.
„Vielleicht das auch“, sagte sie leise. „Aber in erster Linie kam ich wohl, weil ich so verzweifelt bin. Ich habe mir vielleicht vorgestellt, daß eine andere für mich mit Peter sprechen könnte. Daß eine andere, ein Mädchen, auf das er vielleicht hört... noch hört... ihm klar machen könnte, daß er Verpflichtungen hat, wenn nicht gegenüber mir, dann jedenfalls gegenüber seinem Kind.“
Anke schwieg plötzlich. Hinter uns war die Tür aufgegangen, und Senta brachte den kleinen Rolltisch mit Kaffee und belegten Brötchen.
„Wie wär’s mit einem kleinen zweiten Frühstück?“ sagte sie munter. „Mich müßt ihr allerdings entschuldigen, ich habe zehntausend Besorgungen zu machen. Komm, Bickylein, wir verbinden das Nützliche mit dem Angenehmen. Ja, ja, Tante Sonja paßt auf deine Kinder auf.“
Sie verschwand mit Bicky, und ich goß Kaffee ein.
„Sie haben heute bestimmt nicht gefrühstückt“, sagte ich.
„Nein - nein, das habe ich nicht. Ich habe nicht daran gedacht.“ „Und heute nacht wahrscheinlich nicht geschlafen?“
„Das stimmt schon.“
„Darf ich fragen... es geht mich ja nichts an, aber... wohnen Sie hier? Irgendwo oder...“
„Nein.
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