Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden
Senta.
„Gleich!“
„Ich weiß schon, warum“, schmunzelte Senta und holte unsere hellblauen Leinenkleider aus dem Koffer. „Du möchtest wissen, ob dein Heiko dich kennt oder ob er mich umarmt.“
„Was denkst du! Er hat mich gar nicht umarmt.“
„Das kommt noch“, sagte Senta und zog das blaue Kleid über den Kopf. „Mach mir mal den Reißverschluß zu. Nein, du, hast du das gesehen: ein Telefon haben wir auch - schade, daß wir es bestimmt nie werden klingeln hören!“
Sie hatte kaum die Worte gesprochen, da klingelte es!
„Geh ran“, sagte Senta. „Du kannst Englisch! Es ist bestimmt der Redakteur von den ,Löwennachrichten’ oder dem ,Giraffen-Abendblatt’, der dich interviewen will!“
„Hello“, sagte ich ins Telefon. Dann warf Senta einen Blick auf mein Gesicht und nickte: Ach so, der ist es!
„Impala, ich habe Hunger! Wollen wir zusammen lunchen? Bis zwei Uhr ist Fütterung, jetzt ist es halb!“
„Fein, Heiko, wir kommen!“
Wir sind es, wie gesagt, gewöhnt, daß die Leute sich nach uns umdrehen. Aber so ungeniert wie diesmal hatten sie es nie gemacht. Vielleicht fielen wir hier besonders auf, weil wir außergewöhnlich hellblond sind.
Der Speisesaal war sehr groß, sehr hell und angenehm kühl. Die Außenwände ganz aus Glas, von jedem Platz konnte man den Park und die herrlichen Palmen sehen. Auch in dem großen Raum waren haufenweise üppige Pflanzen in Kübeln - und da ein kunstfertig angelegtes Becken mit Goldfischen.
Die meisten Gäste waren beim Nachtisch. Nur unsere Gesellschaft fing erst mit dem Essen an. Wir fielen auf durch unsere helle Haut, die anderen hatten alle eine herrliche Bräune. Vielleicht unterschieden wir uns auch dadurch, daß wir Kleider trugen. Wer schon länger hier war, kam im Strandanzug zum Lunch.
Ein Heer von schwarzen Kellnern in blütenweißen Uniformen stand bereit. Personalmangel schien hier ein unbekannter Begriff zu sein.
Ein ganz alter, magerer Kellner kümmerte sich um uns. Außerordentlich höflich, sehr aufmerksam, mit wachsamen Augen.
Er reichte uns die Menükarte, die erschreckend lang war.
„Ich schlage Fisch vor“, sagte Heiko. „Fische sind hier immer gut!“
„Sind Sie denn schon mal hier gewesen?“ fragte Senta.
„Ja, voriges Jahr. Aber nicht in diesem Hotel. Waiter“ - er zeigte mit dem Finger auf die Menükarte, „dreimal Nummer zwei, bitte!“
„Ja, eigentlich wollte ich noch mehr essen“, meinte Senta. „Und was ist mit dem schönen kalten Büfett dort drüben?“
„Kommt noch!“ erklärte Heiko. „Sie müssen wissen, daß die Kellner hier zum größten Teil Analphabeten sind. Wenn Sie vier Gänge gleichzeitig bestellen, bringen sie es durcheinander. Deswegen wird uns nach jedem Gang die Menükarte wieder gereicht, damit wir unseren nächsten Wunsch äußern können.“
„Und das kalte Büfett?“ fragte ich.
„Kommt nicht zum Anfang, so wie wir es kennen. Sehen Sie sich die Menükarte an: Zuerst Suppe, dann Fisch und Fleisch - essen Sie bloß kein Fleisch, es sei denn Gehacktes, das andere ist furchtbar zäh -, dann erst das schöne Büfett und dann Nachtisch und Käse.“
Das Büfett war ein Gedicht. Es war schwierig, unter all den Delikatessen die richtige Auswahl zu treffen. Außerdem wurde ich plötzlich abgelenkt. Vor mir stand eine Frau in einer Aufmachung, die sogar hier in dieser bunten Gesellschaft auffiel. Ihre verschwenderischen Kurven waren nur spärlich bedeckt, und zwar von einem BH in Lila mit großen Krabben, Seesternen und Fischen drauf - dazu ein paar etwas zu „shorte“ shorts -, und die molligen Füße steckten in grasgrünen Sandalen mit Schnürsenkeln bis zum Knie.
Die offen hängenden Haare reichten bis über die Schulterblätter. Eine Sonnenbrille in kobaltblauer Fassung mit Similisteinen war der Glanzpunkt der Erscheinung. Es dauerte tatsächlich eine halbe Minute, bis ich entdeckte, daß es Frau Tiger war.
Mir gegenüber stand Frau Dieters. Unsere Blicke trafen sich, wir wechselten ein blitzschnelles kleines Lächeln. Sie sah wohltuend frisch und sauber und hübsch aus in ihrem schlichten, gutsitzenden rohseidenen Kleid.
„Ich muß noch ein Stück Papaya holen“, sagte Heiko kurz danach. „Soll ich Ihnen etwas mitbringen?“
„Ja bitte, eine Scheibe Melone“, bat Senta.
Als er uns den Rücken gedreht hatte, flüsterte ich:
„Senta, schnell, tauschen wir die Plätze!“
Senta wußte schon, warum. Es war schließlich nicht das erste Mal, daß wir unserer
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