Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden
und Dieters verlassen hatten. Gleich darauf kam er mit Senta zurück - sie trug Frau Dieters’ Jacke und hatte ihr Kopftuch tief ins Gesicht gezogen. Sie schlüpfte in unser Auto, und Heiko kam zurück zu mir und meiner etwas lästig gewordenen Kinderschar.
„Paßt nun auf!“ rief er auf englisch. „Soll ich euch etwas vorzaubern? Wißt ihr, was Zauber ist? Na also. Aber schön ruhig sein! Stellt euch hier in eine Reihe... so, das ist gut! Wenn ich Jetzt’ sage, dreht ihr euch um, und wenn ich ,hierher’ sage, dürft ihr wieder gucken, ja?“ Er hatte ein paar Suaheliworte eingestreut, und die Kinder schienen zu verstehen.
Sie horchten mit offenen Mündern und großen, blanken Augen.
„Und nun seht ihr euch diese Dame hier an. (Die Dame war ich.) Ganz genau ansehen. Nun werden wir aus ihr zwei Damen machen. Glaubt ihr, daß ich das kann? Nicht? Na, dann also, umdrehen -jetzt!“
Wie ein Blitz war Senta aus dem Wagen, und wir standen da in unseren blauen Kleidern und ohne Kopfbedeckung.
„Hierher!“ rief Heiko - und erzielte genau das, was er wollte. Die Kinder gafften, sie wollten uns anfassen (die Kleider werden nie im
Leben mehr sauber, selbst die Reinigungsanstalt mußte es aufgeben). Sie gingen um uns rum, und wir versuchten, uns ganz im Takt zu bewegen, gleichzeitig zu nicken, gleichzeitig uns umzudrehen, gleichzeitig den Kindern zuzuwinken.
Im Hintergrund hörte ich das dezente Surren der Kamera, und kein einziges Kind dachte daran, das kleine schmutzige Pfötchen auszustrecken und die Worte zu sagen, die die afrikanischen Kinder in den Touristengegenden als erste in englisch lernen: „One shilling, please!“
An diesem Tag erlebte ich etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte.
Wir waren auf der Schlangenfarm, wo man Schlangen zur Serumherstellung züchtet. Ich habe immer einen Schlangenschreck gehabt. Ich fand es wohl interessant, was über sie erzählt wurde, und ich stand lange vor dem Glaskasten der „spitting Cobra“, einer furchtbar gefährlichen Giftschlage. Ja, die Viecher zu sehen, das brachte ich fertig. Aber so etwas Kaltes, Glitschiges, sich Ringelndes anzufassen, der bloße Gedanke genügte, daß es mir kalt über den Rücken lief.
Als wir aus der Farm kamen, stand ein junger Schlangenpfleger da mit einer meterlangen Schlange um den Hals. Er lächelte breit und erklärte, das Tier sei nicht giftig, ganz harmlos, ganz zahm!
Vielen Dank! Ich, die ich nicht einen Regenwurm anfassen konnte, geschweige denn einen Aal! Und nun eine richtige Schlange - o Schreck, o Graus!
Aber Heiko ging lächelnd hin zu dem Mann, sagte ein paar Worte, der Mann nickte und gab Heiko das Tier. Ganz selbstverständlich und einfach legte er sich die Schlange um den Hals, hielt den Schlangenkopf in der Hand, streckte die andere aus gegen all die fotografierenden Mitreisenden und grinste:
„One Shilling please!“
Plötzlich stieg ein Gedanke in mir hoch: Wenn ich das tun könnte! Wenn ich meine lächerliche Angst überwinden könnte! Sozusagen als Beweis dafür, daß es mit meiner Tierliebe Ernst war! - Wenn ich mir bewußt sagen könnte, es ist ein lebendiges Tier, vom lieben Gott erschaffen, nicht so niedlich wie die Meerkatzen auf der Hotelterrasse, nicht so wonnig wie Bicky, nicht so imposant wie ein Löwe
- aber es ist ein Tier, es gehört zu der gewaltigen, herrlichen Natur Afrikas. „Sonja, tu es!“ sagte ich mir selber. „Tu es, zwing dich dazu, tu es, und lächle dabei. Du darfst die Schlange nicht fallen lassen, darfst nicht schreien. - Tu es, Sonja! Es ist ein Tier, vom lieben Gott geschaffen!“
Dann war ich an Heikos Seite.
„Laß mich auch mal, Heiko!“
Meine Augen waren auf Heikos Gesicht gerichtet, als wollte ich aus seinem Blick die Kraft holen. Wie ich die Kraft in diesem Augenblick brauchte, wußte nur ich selbst.
Er nahm das Tier behutsam und legte es mir um den Hals.
„Halt das Köpfchen so, in der Hand, ein bißchen ausgestreckt -ja, das ist fein!“
Der kühle glatte Körper bewegte sich, ich fühlte die Kühle im Nacken. Es kroch ein kleines Stückchen, das schmale Köpfchen bewegte sich in meiner Hand.
Ja aber... aber. wozu brauchte ich Selbstbeherrschung? Wozu mußte ich mich zusammennehmen? Es war ja gar nicht schlimm! Das leichte Gewicht des schlanken Tiers auf meinen Schultern, das kleine Köpfchen in der Hand - die Schwanzspitze, die mein Kinn kitzelte - das war ja nichts, es tat nicht weh, es war nicht ekelhaft! Und dann merkte ich, wie ein
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