Rywig 04 - Die Glücksleiter hat viele Sprossen
vor der Tür stand.
Dann machte ich auf - und schrie!
„Papa! Liebster, geliebtester Paps, nein - das kann nicht wahr sein!“
Ich hing um Vatis Hals, ich drückte mich an ihn, und die Tränen kullerten mir nur so aus den Augen.
„Aber Sonnie, mein Mädchen, was hast du denn!“
„O Paps, ich freue mich nur so - du weißt ja gar nicht, wie ich mich freue! Komm, Paps, nein, diese Tür!“ Ich praktizierte meinen
Vater hin in den guten Sessel und setzte mich auf sein Knie. „Paps, was machst du hier und wo ist Beatemutti?“
„Zu Hause“, lächelte Vati. „Ich fahre morgen nach Kiel, von dort zu einem Kongreß in Lübeck. Es kam alles so schnell, ich hatte ganz aufgegeben, diesen Kongreß mitmachen zu können. Als es dann in Ordnung ging, sprang ich in das erste Flugzeug, damit ich auch meine beiden Töchter besuchen konnte. Ich hatte einfach keine Zeit, euch zu benachrichtigen. So, mein Kind, und wie geht es?“
„Oh, - es geht mir gut. Ich habe mich hier gut eingelebt, glaube ich.“
Papas forschende und unbehaglich erfahrene Ärzteaugen waren auf mich gerichtet.
„So. Das hast du. Das ist ja schön. Und nun erzählst du, was nicht schön ist.“
„Wieso nicht schön?“
„Glaubst du, daß du einen alten Arzt hinters Licht führen kannst, du Flunkerliese? Raus mit der Sprache - oder - es ist doch nichts mit dir und Heiko?“
„Nein, Paps!“ Ich mußte lachen. „Ich liebe Heiko mehr denn je und er mich!“
„Dann ist alles in Ordnung. Das heißt, das Wichtigste. Warum hast du dann geheult?“
„Vor Freude, weil du da bist.“
„Mein liebes Kind“, sagte Papa. „Du hast feste geheult, bevor ich kam. So rote Augen kriegt man nicht von ein paar Freudentränen.“
Er streichelte meine Hand.
„So, Kleines, nun erleichtere dein Herz. Streit mit Schwiegermutter? Krach mit den Nachbarn? Angebranntes Mittagessen? Oder ist dir der Alltag einfach zu grau?“
Dreimal hatte ich energisch den Kopf geschüttelt. Bei der vierten Frage blieb mein Kopf einen Augenblick still, dann nickte ich. „Sehnsucht nach Norwegen?“
„O ja. Manchmal. Nach euch allen, nach der Unruhe und dem Leben und Treiben, nach Hans Jörgens Neckereien und Stefans Schabernack und Annettes Geplauder und - und - “
„Aber Sonnie, du wußtest ja im voraus, daß.“
„Ja, ich wußte im voraus, daß ich nur Heiko haben würde und keine große, lebhafte Familie - aber ich wußte nicht, daß ich den ganzen Tag mutterseelenallein sein würde, ich wußte nicht, daß -daß - daß wir uns keine Kinokarte und keine Schokoladentafel leisten würden und daß Heikos Eltern ihn gelehrt hatten, auf alles zu verzichten, was dem Leben ein bißchen Farbe gibt! Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, zu radeln, wenn andere Auto fahren, aufs Fernsehen zu verzichten und Buttermilchsuppe zu essen - o Paps, wenn du wüßtest, wie scheußlich das schmeckt! Er braucht nicht auszugehen, wenn er bloß seine Bücher und seine Arbeit hat, er braucht keine Blume im Zimmer und keine kleine spannende Überraschung am Samstagabend, er braucht.“
„Sage mal“, fragte Papa sanft und sehr ruhig: „Braucht er dich?“ „Ja, Paps“, antwortete ich, fest und sicher: „Das tut er.“
„Und du ihn?“
„Und ob!“
„Dann wird alles andere sich finden, mein Mädel. Aber nun sag mir eins - nein, zwei Dinge mußt du mir näher erklären: Du hast doch von eurer Sparpolitik erzählt, ich hatte doch den Eindruck, daß du damit einverstanden warst?“
„Ja, Paps, das war ich - das bin ich an sich auch, aber Heiko ist so ganz furchtbar konsequent! Er macht nie, aber auch nie eine einzige kleine Ausnahme!“
„So so. Ja, und dann sprachst du von Heikos Eltern, die so ungeheuer genügsam sind. Sage mir, sind sie auch mit ihrem Dasein zufrieden? Sind sie guter Laune, können sie fröhlich lächeln, sind sie freundlich und aufgeschlossen, wenn ihr hinkommt?“
„Ja, unbedingt! Das ist es, was ich nicht fassen kann! Wenn ich fünf Pfund Kartoffeln per Hand reiben müßte, weil ich kein elektrisches Gerät hätte, wenn ich diese widerliche Suppe essen müßte, wenn ich wüßte, daß ich nie in meinem Leben ein Auto kriegen würde, wenn ich immer auf Plastik oder Wachstuch essen müßte - und mein Leben lang zwischen Omas und Opas Knäufen und Plüsch verbringen müßte, weil nun eben die Möbel da sind -wenn ich immer, aber auch immer, an den schönen Delikateßgeschäften vorbeigehen müßte und mir nie, kein einziges Mal, ein Döschen
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