Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
stellten die Rückenlehnen zurück, die, die es wünschten, bekamen leichte Decken. Das Plaudern rings herum verstummte. Tante Helene hatte die Augen geschlossen. Ich betrachtete ihr Gesicht - dieses liebe, harmonische Gesicht, das immer eine gesegnete Ruhe ausstrahlte. Ja, sie war gealtert. Man sah es am deutlichsten jetzt, wo sie mit geschlossenen Augen dasaß. Wenn sie wach war, vergaß man die Falten und alle sonstigen Alterserscheinungen, denn diese strahlenden Augen waren jung und wach geblieben.
Wie hatte ich doch diesen Menschen lieb!
Was würde geschehen, wenn sie einmal nicht mehr auf der Welt war? Wer würde das Institut leiten, wer würde die segensreiche Arbeit weiterführen können? Wer würde unser Brotgeber und Auftraggeber werden? Denn Tante Helene hatte doch gesagt, daß sie uns gern weiterhin als Mitarbeiter behalten möchte.
Es stieg eine Angst in mir hoch. Ich dachte an Heiko, an das risikoreiche Leben das er führte und in der Zukunft führen würde. Ich dachte an Tante Helenes Alter und ihre geschwächte Gesundheit.
O Gott, erhalte uns Tante Helene noch lange - erhalte meinen Heiko - laß ihm nichts zustoßen - gib ihn mir gesund wieder.
Dann zählte ich wieder die Tage, bis wir uns wiedersehen sollten, und ich stellte mir vor, wie es sich abspielen würde! Man müßte sich mit dem Empfangschef im Hotel in Sydney absprechen. Wenn Heiko spätabends ankäme, müßte man ihm den zweiten Zimmerschlüssel aushändigen, er sollte nichtsahnend rauffahren, er sollte in dem Zimmer Licht machen und staunend sehen, daß man ihm ein Doppelzimmer gegeben hatte. Und dann - dann - dann sollte er mich im Bett entdecken - oder wenn es noch nicht so spät am Tage war, würde ich mich vielleicht im Kleiderschrank verstecken, oder im Bad - was würde das für eine Überraschung geben! Er dachte, ich sei in Norwegen - und dann - dann.
Mir wurde es schwindlig vor Glück, wenn ich an den Augenblick dachte.
Ich zählte wieder die Tage an den Fingern ab.
Nur noch elf Tage!
Du lieber Himmel, wie sehnte ich den Augenblick herbei!
Es wurde Tag, und wir landeten in Port Moresby.
Nach einem schnellen Frühstück in einem Hotel ging es an die übliche Stadtrundfahrt. Schon unterwegs zum Hotel hatten wir die ersten Papuas gesehen. Ich war aus Afrika die „Oben-ohne-Frauen“ gewohnt, und trotzdem machte ich jetzt Augen! Der Begriff „oben“ war hier außerordentlich großzügig, mit oben verstand man hier „bis unterhalb des Nabels“. Mit anderen Worten, die Papuafrauen trugen einen kleinen Rock oder einen Lendenschurz, die Männer waren auch außerordentlich leicht angezogen! Fröhlich und unbefangen standen sie am Straßenrand, winkten uns mit lächelnden Gesichtern zu, zeigten uns stolz ihre süßen, kleinen braunen Babies. Wir machten Pause auf einem Markt. Unter schattenspendenden Bäumen saßen Frauen und Kinder, dort stillte eine junge Mutter ihr Kleines. Oh, wie gern möchte ich davon eine Aufnahme machen! Aber ich wußte aus Afrika, wie schwierig das sein konnte, wie die Leute oft wütend wurden, wenn man versuchte, sie zu knipsen. Jedenfalls mußte man immer dafür bezahlen.
Aber da konnte ich jedenfalls mit ihnen sprechen. Hier war ich auf die Finger- und Zeichensprache angewiesen.
Ich mußte versuchen, ob ich diese Aufnahme zustande kriegen könnte! Die junge Mutter war bildhübsch in ihrer schönen, unbefangenen Nacktheit, und das Baby war zum Fressen süß, wie es da gierig trank, während eins seiner kleinen braunen Händchen an der vollen, reichen Mutterbrust krabbelte.
Ich ging hin zu der jungen Frau, lächelte, zeigte auf das Baby und auf den Fotoapparat. Sie nickte eifrig, setzte sich unaufgefordert so hin, daß das Licht besser fiel. Ein junger Mann sah es, kam schnellstens dazu, hockte neben Frau und Kind, lächelte stolz und strahlend, direkt in den Apparat und schien ganz begeistert zu sein, als es „klick“ machte.
Dies war zu schön, um wahr zu sein! Kein Mensch wollte Geld, niemand weigerte sich dagegen, fotografiert zu werden! Alle lächelten und zeigten ihre blendendweißen Zähne, alle guckten uns neugierig-wohlwollend an.
Ein Paradies für einen Fotografen!
Natürlich kauften wir auf dem Markt ein. Mango und Papayafrüchte waren für mich ja nichts Neues, für die meisten anderen Teilnehmer aber eine Sensation.
„Und in Deutschland kosten sie drei, vier Mark!“ sagte Frau Werner. „Hier habe ich fünf Stück für fünfundzwanzig Cents bekommen!“
Sie guckte sich ihre
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