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Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender

Titel: Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Leben, daß jemand mir Blumen hingestellt hat“, sagte sie leise, als spreche sie mehr zu sich selbst als zu mir. Dann drehte sie den Kopf und traf meinen Blick.
    „Geh du zuerst, Heidi. Ich warte, bis du fertig bist.“
    „Fein, ich werde mich beeilen.“
    Im Waschraum hingen blütenweiße Handtücher auf Häkchen, die säuberlich mit kleinen Schildern versehen waren. „Heidi“ und „Xenia“ in Druckbuchstaben. Da waren zwei Seifenstücke, zwei Zahnputzbecher, zwei kleine Wandborte, auch mit unseren Namen. An alles war hier gedacht!
    Dann wusch ich mich und putzte die Zähne und kämmte die Haare und war voll Spannung, voll Vorfreude auf alles, was ich vor
    mir hatte.
    Gott sei Dank, daß Xenia zu mir „du“ gesagt hatte! Ich war als erste unten. Nachdem ich drei verkehrte Türen aufgemacht hatte, fand ich endlich die Küchentür und stand in einer großen, hellen Anbauküche mit vielen elektrischen Geräten und einer urgemütlichen Eßecke. Frau von Waldenburg stand am Herd. Ich überreichte ihr mein Mitbringsel von Senta, ein Stück norwegischen Ziegenkäse und eine Packung dünnes, weiches Gebäck - eine norwegische Spezialität - mit dem unübersetzbaren Namen „Lefse“.
    „Oh, das ist aber lieb von Senta, sie hat meine Schwäche für Lefse mit Ziegenkäse nicht vergessen! Jetzt gibt es gleich Kaffee. Was macht Xenia?“
    „Sie kommt gleich. Sie stand gerade und guckte sich ihr Zimmer verliebt an, und dasselbe habe ich getan. Tausend Dank für die Blumen! - Aber wo ist die dritte Ihrer Bande, ich meine Denise?“ „Sie kommt heute nachmittag.“
    Frau von Waldenburg füllte den gemahlenen Kaffee in die Kaffeemaschine. Dann sah sie mich an.
    „Heidi, ich habe mir selbst hoch und heilig versprochen, nie mit einer von euch über die anderen zu sprechen. Aber etwas möchte ich doch sagen, jetzt, gleich zum Anfang.“
    Sie drehte an einem Schalter, warf einen Blick auf den Glasbehälter in dem die Kaffeeprozedur ihren Lauf nahm. Dann drehte sie sich wieder zu mir um. „Seien Sie lieb zu Xenia, Heidi.“

Briefeschreiben
    Im „Haus am Flüßchen“, 22. Oktober
    „Meine innigst geliebten Eltern!
    Meine Kartengrüße und den Brief vom Schiff habt Ihr hoffentlich schon längst erhalten, dann wißt Ihr, daß ich gut angekommen und bestens aufgehoben bin. Ja, wenn alles so bleibt wie bisher - und ich glaube bestimmt, daß es bleibt! - habe ich ein solches Glück gehabt, daß ich es selbst kaum fassen kann.
    Was wollt Ihr nun zu allererst wissen? Ach ja, natürlich, was meine Studien machen!
    Danke der Nachfrage: Nachdem ich mich mit etwas Mühe in dem enormen Universitätskomplex zurechtgefunden und die Verwaltungsstelle ausfindig gemacht hatte, wo ich mich anmelden sollte, ist alles wie am Schnürchen gelaufen. Ich habe all meine Papiere ausgebreitet, vom Geburtsschein über Impfschein und Abiturzeugnis bis zu der Mitteilung, daß ich hier in Kiel aufgenommen bin - habe tausend Fragen beantwortet, ich ahnte nicht, daß so viel über meine Wenigkeit zu berichten sein könnte. Es fehlte nur noch, daß man nach meiner Schuhgröße und Lieblingsgericht fragte! Oder, wie Frau von Waldenburg sagte, als ich ihr von den Formalitäten erzählte: „O ja, das kenne ich! Schuhgröße, Kragenweite, wenn nicht verheiratet, warum?“
    Also, ich wurde dann feierlich aufgenommen, dann folgte das Immatrikulieren, und gestern hatte ich meine erste Vorlesung. Gott sei Dank, daß ich mit der deutschen Sprache so fleißig gewesen bin! Natürlich habe ich nicht jedes Wort begriffen, aber ich habe die unverständlichen Ausdrücke notiert und nachher nachgeschlagen. Ich habe übrigens zwei Norweger und eine Norwegerin getroffen, wir sind in derselben Gruppe, und die haben alle mehr Sprachprobleme als ich. Aber sie haben auch keine Väter mit Universitätsexamen in Deutsch, so wie ich es habe! Sonst habe ich bis jetzt eigentlich keinen Anschluß unter den Studenten gefunden, aber das kommt bestimmt noch. Ich wohne ja auch „östlich der Sonne und westlich des Mondes“ - hier sagen sie „da wo die Füchse sich gute Nacht sagen“. Ob es hier am Flüßchen Füchse gibt, weiß ich nicht, ich glaube eher, daß die Karnickel und Enten, Bleßhühner und Schwäne sich sowohl gute Nacht als auch guten Morgen sagen, und zwar direkt vor dem Grundstück. Der Fluß bildet eine Art Rinne bis in den Garten, und die lieben Viecher haben natürlich entdeckt, daß sie nur etwas zu schnattern brauchen, dann erscheint ein Mensch und streut

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