S - Spur Der Angst
sag mir, ob du Ethan für einen Verdächtigen hältst.«
»Ich halte jeden für verdächtig«, entgegnete sie, darum bemüht, ihre Gewissensbisse vorerst zu verdrängen. Sie dachte an die Bemerkungen in Lynchs Akten, verfasst in seiner selbstbewussten Handschrift. »Und dazu zähle ich auch Dr. Tobias Lynch höchstpersönlich. Nein, falsch: Ich stelle ihn ganz oben auf die Liste. Schließlich ist er derjenige, der diese psychologischen Kurzprofile verfasst hat, er weiß ganz genau, welche geistigen oder emotionalen Probleme seine Schüler und manche seiner Mitarbeiter haben.« Sie warf einen Blick auf die Stalltür, durch die Flannagan vor wenigen Minuten verschwunden war. »Nehmen wir zum Beispiel unseren Kumpel Bert Flannagan. Abgelehnt von der Polizei, gerade gut für Lynch. Gerade gut für Blue Rock. Flannagan ist ein Ex-Militär, kennt sich mit Waffen aus, hat Kampfflugzeuge geflogen, Gefechte miterlebt und war vermutlich ein Söldner. All das geht aus Lynchs Notizen hervor. Klingt nicht gerade so, als wäre er der beste Umgang für Jugendliche mit Problemen, oder?«
»Warum sollte der Schuldirektor Personal einstellen, von dem er weiß, dass es nicht ganz sauber ist, hm?«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Warum wählt er nicht lupenreine Bewerber aus, wenn er Lehrer und Berater braucht, die mit ernsthaft gestörten Teenagern arbeiten? Niemand weiß besser als Lynch, wie schwerwiegend die Probleme dieser Kinder sind. Das ergibt doch wirklich keinen Sinn! Wenn du mich fragst, braut er hochbrennbaren Kraftstoff zusammen und hält ein entzündetes Streichholz dran.«
Mit gefurchten Brauen blickte sich Trent ein letztes Mal im Stall um. »Ich schätze Lynch etwas anders ein«, sagte er dann. »Meiner Meinung nach handelt er aus Überzeugung. Er glaubt fest daran, dass er das Richtige tut, Gottes Willen vertritt. Daran ist nichts gespielt.«
»Vielleicht nicht. Doch die Friedhöfe sind voller toter Soldaten, die allesamt ihr Leben im Namen der Religion gelassen haben. Seit Anbeginn der Zeiten haben irgendwelche Herrscher und Anführer ihren verdrehten Glauben für ihre ganz persönlichen Rachefeldzüge missbraucht.« Sie warf einen Blick auf Maeves Leichnam und schauderte. Das hier war kein geeigneter Ort, um über Religion zu reden. »Ich muss hier raus«, gab sie zu. »Und ich muss mit Nell Cousineau reden; ich bin mir fast sicher, dass sie mir die Nachricht unter der Tür durchgeschoben hat. Sie weiß etwas. Und dann ist da noch Ethan Slade. Ich würde zu gern hören, was er dazu zu sagen hat!« Ihre Gedanken wirbelten. »Außerdem muss ich mit meiner Cousine Analise und ihrem Mann Eli sprechen. Er war CB in Blue Rock. Vielleicht hat er während seiner Zeit hier etwas mitbekommen –«
»Jules!«, fuhr Trent dazwischen, dann nahm er sie in die Arme und befahl mit sanfter Stimme: »Nun mal ganz langsam. Das ist Sache der Polizei. Es ist gefährlich!«
»Das ist doch nichts Neues.«
»Du hast ja recht, aber trotzdem. Ich möchte nicht, dass du verletzt wirst. Ich bringe dich jetzt zurück zum Stanton House. Und du gehst in dein Apartment und verriegelst die Tür. Ich –«
»Wie bitte? Du bist wohl verrückt? Nachdem wir Maeve gefunden haben?«, fragte sie ungläubig. Was dachte er sich nur? »Auf keinen Fall werde ich nur rumsitzen und abwarten!«
»Viel mehr kannst du nicht tun«, erklärte er mit Nachdruck. »Die Telefone funktionieren nicht, und wir sind vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Du bewirkst gar nichts, wenn du mitten in der Nacht über den gottverdammten Campus rennst!«
»Aber ich muss etwas tun! Wir müssen etwas tun! Das letzte Mal hat er zwei Menschen umgebracht. Woher weißt du, dass nicht noch irgendwo ein Toter liegt?« Erneut stieg Panik in ihr auf.
Trent schüttelte den Kopf. »Das weiß ich natürlich nicht, aber wenn es einen weiteren Toten gibt, können wir ohnehin nichts mehr dagegen tun. In ein paar Stunden wird es hell.«
»Trotzdem dürfen wir nicht einfach abwarten«, widersprach Jules und dachte an Shay. War ihre Schwester in Sicherheit? Was, wenn der Mörder sie im Visier hatte? Die Nacht kam ihr unendlich lang vor. »Wie spät ist es?«
»Keine Ahnung. Schätzungsweise kurz vor vier.«
»Noch mindestens zwei, wenn nicht drei Stunden, bevor es dämmert«, überlegte sie laut. »Wenn er beim ersten Mal einen Menschen getötet hat, nämlich Lauren, und beim zweiten Mal zwei, Nona und Drew, dann nimmt er sich heute Nacht vielleicht drei vor! Was, wenn
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