Saat der Lüge
oben.
Cora hatte nämlich recht gehabt: Meine Artikel über Jenny hatten mir eine Nominierung für den walisischen Journalistenpreis der British Telecom eingebracht. Am Ende wurde ich nur Zweite, nahm in meinem schwarzen, eng anliegenden Abendkleid würdevoll lächelnd die Plakette entgegen und sonnte mich im Scheinwerferlicht. Die männlichen Medienvertreter hatten zu viel Champagner getrunken und lockerten ihre Krawatten, bevor sie mit lüsternem Blick herüberkamen, um mit mir bei Gratisgetränken an der Bar zu plaudern oder mir Visitenkarten zuzustecken und mich zu bitten, sie doch anzurufen.
Der erste Preis ging an ein gotterbärmliches kleines Wochenblatt aus dem hintersten West Wales. Für eine Story über Kleingartenkriege – ist das zu fassen? Nur weil die Geschichte auf Walisisch verfasst war und im Jahr zuvor ein Journalist von einer englischsprachigen Zeitung gewonnen hatte.
Wichtig war allein, dass mir die drei Stunden Smalltalk im Thistle Parc Hotel und eine lobende kleine Erwähnung in meiner eigenen Zeitung ein Jobangebot der BBC Wales eingebracht hatten, über deren Sendergebäude die Turmspitze der Llandaff Cathedral wie ein Traumgebilde aufragte. Fernsehnachrichten – das Tor zum gelobten Land!
Wenn ich die Autobahnüberführung im Norden der Stadt entlangfuhr, warf ich oft einen Blick hinüber zum Sendergebäude im Schatten der Kathedrale, über dessen emporragenden Antennen sich wie über einer Thomas-Hardy-Landschaft die Wolken teilten, bis es in goldenes Sonnenlicht getaucht war. Als ich meinen Kollegen von dem Angebot erzählte, betrachteten sie mich plötzlich mit anderen Augen, voller Ehrfurcht und mit einer kriecherischen Anerkennung, die sie mir zuvor verwehrt hatten. Ich würde nicht sagen, dass sie mir Respekt entgegenbrachten – den Respekt verliert jeder Journalist, noch bevor sein erstes Jahr an der Front vorbei ist –, aber zumindest betrachteten sie mich mit Neid, geblendet vom eigenen Ehrgeiz.
Der Glanz dieser drei ikonischen Großbuchstaben, BBC , hatte auf mich abgefärbt, und sein Licht war so hell, sogar gleißend, dass es, da war ich mir sicher, alles einschmelzen und ausblenden würde, vor dem ich durch mein Studium zu fliehen versucht hatte. Die Geschichte konnte neu geschrieben werden, und mein neues Ich würde rufen: Ich hab’s euch doch gesagt! Ich hab euch doch gesagt, dass ich mehr kann, dass ich eigentlich anderswo hingehöre, dass ich jemand anders sein müsste! Auch wenn niemand da war, der mir zuhörte.
Dieses neue Gefühl war viel zu süß und unentbehrlich, um es gleich wieder aufzugeben. Cora wollte es mir aus der Hand schlagen, um anschließend auf den Scherben herumzutrampeln. Ich weiß nicht, ob sie sich wirklich über die Konsequenzen im Klaren war, die es haben würde, wenn wir der Polizei erzählten, dass wir Jenny im Charlie’s getroffen hatten und anschließend ohne Mike nach Hause gegangen waren. Sie musste sich darüber wohl im Klaren gewesen sein, schließlich war sie eben nicht dumm, auch wenn ich das gerne vergaß. Sie behauptete, die Geheimnistuerei nicht länger ertragen zu können, die Unwissenheit.
Sie glaubte vermutlich, dass Mike zwar sie anlügen konnte, nicht aber die Polizei. Am Ende würde alles herauskommen, und sie würde endlich ihre Antworten haben.
Das Problem war nur, dass auch ich nicht länger so leben konnte. Es machte mich fertig, nicht zu wissen, ob sie zusammenbrechen und uns alle mit in den Abgrund reißen würde, ob sie mir Mike und alles, was mir im Leben etwas bedeutete, wegnehmen würde, einfach weil sie es konnte. Um uns beide zu verletzen, obwohl sie sich selbst dadurch am meisten wehtat.
Und noch etwas zwang mich zum schnellen Handeln.
James tauchte in der Redaktion auf, um kurz hallo zu sagen und erneut sein Glück bei mir zu versuchen. Vielleicht gelang es ihm ja dieses Mal, ein Date oder gar ein Schäferstündchen abzustauben? Er wollte am Freitagabend zurück nach London, in die große, weite Welt mit all ihren Verheißungen, und bat mich, mit ihm zu kommen. Für ein Wochenende natürlich nur, nicht für ein ganzes Leben. So romantisch war er nicht. Er mochte hartnäckig sein, aber Illusionen machte er sich nicht.
Ein Teil seiner Überzeugungstaktik bestand darin, mir vertrauliche Informationen zuzustecken. Ein Tauschhandel: Informationen gegen Sex. »Owain hat eine Affäre« lautete sein erstes Angebot. Um es verlockender zu machen, legte er noch einen Cappuccino oben drauf.
»Mit Cath aus der
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