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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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zumindest behauptete er das, als ich ihn interviewte. Selbstverständlich hatte Mr Thomas daraufhin sofort sein Handy aus der Tasche gezogen – wir befanden uns schließlich im einundzwanzigsten Jahrhundert –, die Polizei angerufen und mit Princey auf das Eintreffen der Blaulichter und Uniformierten gewartet.
    Nachdem sie so lange im Wasser gelegen hatte, war die Leiche in einem grauenhaften Zustand, schwarz und zerschrammt von der schnellen Strömung, aufgedunsen und verfärbt. Aber er habe sich nicht übergeben müssen, schließlich habe er schon Schlimmeres gesehen, »damals im Krieg, wissen Sie« (er führte nicht näher aus, in welchem). Um ein Haar hätte es allerdings tatsächlich eine zweite Begegnung mit den ballaststoffreichen Frühstücksflakes und dem Orangensaft gegeben, die ihm seine Tochter zur Bekämpfung seines hohen Cholesterinspiegels verordnet hatte.
    Davon schrieb ich natürlich nichts in der Zeitung. Davon, wie aufgedunsen und verfärbt sie war, meine ich. Das hätten unsere Leser nicht verkraftet, so eine Zeitung waren wir nicht.
    Jenny war vollständig bekleidet, inklusive Lederjacke. Sie trug sogar noch ihre Uhr und ein goldenes Armband, das sich tief ins aufgequollene Fleisch gegraben hatte, sowie einen einzelnen goldenen Ohrring in Sternform in ihrem kaum noch als solches zu erkennenden Ohr, den die behänden Eisfinger der Strömung nicht hatten aufhaken können. Nur ihr Haar blieb unbeschadet und tanzte scharlachrot in den Strudeln. Dieses Bild hatte ich jedenfalls vor Augen. Die Einzelheiten erfuhr ich unter der Hand von einem Mitarbeiter der Gerichtsmedizin. Gesehen hatte ich sie nicht. Ihre Leiche.
    Als der Aufruf zur Mithilfe der Bevölkerung erging, war mir zunächst gar nicht klar, dass es sich um Jenny handelte. Es war Sonntag. Ich hatte die Wochenendschicht erwischt, und bisher war es ein Saure-Gurken-Tag gewesen. Über der ausgedünnten Wochenendredaktion lag eine lustlose, verhaltene Stimmung. Saure-Gurken-Tag – so nennen wir Journalisten Tage, an denen bis auf ein paar kleinere Raubüberfälle, Selbstmorde und Massenkarambolagen ohne tödlichen Ausgang nichts Interessantes passiert. Die Zeit zog sich wie Kaugummi, und die Telefone blieben zunächst still.
    Es waren noch Stunden bis Redaktionsschluss, und ich saß Däumchen drehend unter der Migräne verursachenden Leuchtstoffröhre an meinem Schreibtisch, trank noch einen nach Plastik schmeckenden Kaffee aus der Maschine und blätterte auf der Suche nach einer Story, die ich adaptieren (im Sinne von klauen) und walisisch anpinseln konnte, durch den Mirror , während ich überlegte, was ich zu Mittag essen wollte.
    Als ich schon glaubte, den gesamten Vormittag in Ruhe und Frieden verbringen zu können, stürzte unser allseits gefürchteter Chefredakteur Owain zur Tür herein. Mit ans Ohr geklemmtem Handy, einem Pappbecher mit schwarzem Kaffee in der einen und den Polizeimeldungen in der anderen Hand stürmte er laut fluchend auf mich zu. Es hätte niemanden gewundert, wenn Owain (genau: nicht Owen, sondern Owain) rote Hosenträger getragen hätte, war seine ganze Erscheinung doch eine etwas armselig wirkende Reminiszenz an längst vergangene Zeiten: die glatt nach hinten gekämmten, öligen Haare, die etwas zu gesunde, auf überkochenden Blutdruck hindeutende Gesichtsfarbe, der dunkle Nadelstreifenanzug, dessen Schnitt als tadellos durchgegangen wäre, hätte Owains alles andere als tadellose Wampe nicht über seinen italienischen Ledergürtel gehangen.
    Er war auf dem Höhepunkt der Achtziger gestorben und einbalsamiert worden, um uns für alle Ewigkeit aus dem Jenseits heimzusuchen, vulgär und aufgeblasen und nach Kouros von Yves Saint Laurent stinkend.
    Die Wörter Angeber und Witzfigur schienen speziell für Owain erfunden worden zu sein. Wir Reporter nannten ihn fast alle nur das Arschloch.
    Bei seinem Anblick tauchte ich instinktiv hinter dem Bildschirm ab und gab vor, in der Nähe des leeren Papierkorbs nach einem unsichtbaren, aber lebenswichtigen Gegenstand zu suchen. Owain hatte eindeutig zu viele amerikanische Filme über liebenswert verschrobene Schreiberlinge gesehen und ging voll in dieser Rolle auf. Dabei gab es nur zwei Probleme: Wir befanden uns in Wales. Und er konnte ums Verrecken nicht schreiben. Vermutlich wusste er noch nicht mal, wie man Verrecken buchstabiert.
    Die meisten Reporter hassten ihn, teils, weil er wohlhabend und wortgewandt war, teils, weil er den Posten seinem Vater verdankte, einem

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