Saat der Lüge
gibt.« Das war die Wahrheit. Seit meinem Besuch bei Gabe hatte meine Schnüffelei keine weiteren Früchte mehr getragen.
»Ihr … ihr beide …«, stammelte Cora und beugte sich vertraulich zu mir herüber, wobei sie den Blick über den voll besetzten Raum schweifen ließ, als erwartete sie, Mike würde hinter einer der edlen geprägten Speisekarten hervorlugen und uns observieren. »Ich wette, er erzählt dir alles Mögliche. Dass ich paranoid bin. Und eifersüchtig. Er würde es dir erzählen, Lizzy.«
Ich blickte sie so entrüstet an, wie ich konnte. »Er hat nie etwas Derartiges zu mir gesagt«, stellte ich klar, auch wenn er sich nach Streits oder Meinungsverschiedenheiten durchaus gelegentlich bei mir über sie beklagte.
»Was erzählt er dir denn sonst?«, wollte sie wissen.
»Cora«, fiel ich ihr energisch ins Wort. Ich hatte keine Lust, mich weiter auf derart tückischem Untergrund zu bewegen, das brachte uns keinen Schritt weiter. »Ich glaube nicht, dass er mit dieser Jenny geschlafen hat. Du solltest ihm noch eine Chance geben. Das Ganze war ein blödes Missverständnis, und du musst damit abschließen. Bitte! Euch beide verbindet so viel. Schmeiß es nicht einfach weg wegen ein paar Zweifeln und diesem ganzen Unsinn. Ich weiß, dass er dich über alles liebt.«
Sie lächelte schief. »Ja. Vermutlich hast du recht.« Sie wirkte beschwichtigt.
»Gut«, antwortete ich. »Und jetzt iss bitte was, sonst muss ich dich nach Hause tragen. Was machst du dieses Wochenende? Lust auf ein paar Weihnachtseinkäufe?«
Jetzt, wo sich mit aller Macht die Weihnachtsstimmung auf uns herabsenkte, fiel es nicht schwer, Jenny aus unseren Gedanken zu verbannen. Eine Woche später trafen wir uns zu viert auf der Winterkirmes und amüsierten uns dort so prächtig, dass ich mir sicher war: Es war alles wieder, wie es sein musste, und würde auch für immer so bleiben.
Wir hatten uns geradezu lächerlich warm eingemummt, und ich war trotzdem dankbar für die kleine rosa Wollmütze, die Cora mir gekauft hatte, weil sie an Sonderangeboten nicht vorbeigehen konnte und vielleicht auch weil sie mich für das ruinierte Mittagessen entschädigen wollte. Wir drängten uns um die Heizstrahler vor den Kaffee- und Hotdogständen, schlossen unsere Hände wärmesuchend um Pappbecher mit süßem, dampfendem Cappuccino und machten uns über Stevies neuen Igelhaarschnitt und seinen angeblich wachsenden Bierbauch lustig.
Ich genoss das Raue und die Reinheit der kalten Luft, und ich bewunderte, wie sie jedes unsichtbare Übel, das uns anhaftete, einfach wegfegte. Eng aneinandergedrängt standen wir vor der theatralischen Kulisse des beleuchteten Rathauses mit seiner weißen Kuppel, seiner geriffelten Fassade und den zierlichen Turmspitzen und Vorsprüngen, die in den vorbeihuschenden Kirmeslichtern glitzerten und vor dem schwarzen Hintergrund des Dezemberabends an einen Eispalast erinnerten. Cora war gut gelaunt und trug die gleiche Wollmütze in Dunkelgrün, dazu einen viel zu großen Militärmantel im Stil der Russischen Revolution, der ihr bis zu den Fußspitzen reichte. Ihre Augen glänzten, und sie machte ausnahmsweise einen entspannten Eindruck. Mike, der heute besonders viel Aufhebens um sie machte, warf mir gelegentlich ein Lächeln zu, das selbst das Eis auf der Schlittschuhbahn zum Schmelzen gebracht und die Eisläufer im darunterliegenden Zierteich versenkt hätte.
Stevie strahlte und kaufte Schokomuffins für alle. Ich hatte Lust auf Eislaufen, aber nicht allein. Da weder Stevie noch Cora Schlittschuhlaufen konnten, tat Mike mir den Gefallen und begleitete mich. Es war viel zu voll, um etwas anderes zu tun, als mit dem Strom dahinzugleiten, aber es fühlte sich gut an, im Menschenpulk seine Hand zu halten. Obwohl ich seine Haut durch den Handschuh hindurch nicht spüren konnte, bildete ich mir ein, seinen Puls zu fühlen. Umgeben von erhitzten Gesichtern und angefeuert von Cora und Stevie drehten wir unbeholfen eine Runde nach der anderen, bis wir ganz außer Atem waren.
Gab es etwas Schöneres? Von den anschließenden Stunden beim Italiener einmal abgesehen, wo es nach frisch gebackenem Brot duftete und wo wir mit fettglänzenden Fingern unsere Pizzen hinunterschlangen und uns gemeinsam einen wärmenden Schwips antranken? Diese Jenny konnte uns mal, das hier kann sie uns nicht verderben, dachte ich.
Weihnachten rückte näher und stand schließlich vor der Tür, und bevor wir alle am großen Tag in den Schoß der Familie
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