Saat der Lüge
hatte, dass wir beide sie kannten, wechselte eine Million Wörter zwischen uns hin und her. Und es war fast genug.
Eine neue Richtung
E nde Juli, sechs Monate nachdem man Jennys Leiche gefunden hatte, startete der Currymann den ersten Erpressungsversuch.
Als hätte ich nicht genug Sorgen gehabt! Und Geld besaß ich weiß Gott auch nicht im Überfluss. Ich war ein schlecht gewähltes Zielobjekt, dafür sorgten die horrenden Wohnungsmieten von Cardiff, die Raten für die Rückzahlung meines Studienkredits und der kümmerliche Gehaltsscheck, den ich als Reporterin bekam. Trotzdem schienen mir ein paar hundert Pfund eine vernünftige Investition dafür zu sein, dass er den Mund hielt, dass ich meinen Job behielt, dass Mike nicht ins Gefängnis kam, dass die Welt im Lot blieb.
Aber zunächst versuchte ich ihn abzuwimmeln und gab vor, nicht die geringste Ahnung zu haben, wovon er da schwafelte. Ich drohte sogar damit, meinerseits die Polizei zu holen, wenn er mich nicht in Ruhe ließ (ein etwas verwegener Schachzug). Er blieb geduldig. Ich vermute, er hatte alle Zeit der Welt, schließlich hatte er sonst nicht viel zu tun.
Überhaupt bestand das Hauptproblem darin, dass der Currymann so höflich und gelassen auf seinem Standpunkt beharrte und man ihn daher schlecht als tobenden Geisteskranken oder lallenden Idioten hinstellen konnte, der vor sich hin brabbelte, nach Tauben grapschte, streunende Windhunde wie alte Freunde begrüßte oder Promenadenmischungen mit Napoleon Bonaparte ansprach. Er erhob Anspruch darauf, für voll genommen und als zurechnungsfähig angesehen zu werden. Und früher oder später würde ich diesem Anspruch gerecht werden müssen.
Er wartete auf mich, als ich aus der Redaktion kam. Nicht direkt neben dem Gebäude, er wusste, wie das ausgesehen hätte. Er mochte nach Kohlsuppe stinken, aber dumm war er nicht. Auf dem Parkplatz, wo ein ständiges Kommen und Gehen herrschte, hätte mir jederzeit ein Kollege oder ein Wachmann beispringen können.
»Entschuldigen Sie, Miss. Belästigt Sie dieser Mann?«
»Allerdings! Bitte braten Sie ihm ordentlich eins über! Jetzt sofort!« Das wäre ideal gewesen. Stattdessen wartete er, bis ich um die Ecke gebogen war, schlich sich an mich heran und fragte: »Entschuldigen Sie, sind Sie Miss Jones?« Die Antwort kannte er natürlich bereits. »Erkennen Sie mich wieder?« Er lächelte.
Ich lächelte zurück, während ich gleichzeitig den abgetragenen braunen Wollmantel mit den abgewetzten Stellen und das Moos aus Bartstoppeln registrierte, das ihm das Kinn hinaufwuchs (kein gepflegter Schnauzbart unterm Zylinder wie bei den Schurken im Film) und ein paar nasse Lippen umwucherte, aus denen er seinen feuchten, nach Kaffee und billigen Zigaretten stinkenden Atem in die beißend kalte Luft blies. Er wirkte eher bedauernswert als angsteinflößend, aber er hatte auf jeden Fall etwas zu sagen.
»Wir sind uns im Gericht begegnet, nicht wahr? So ein Gesicht vergisst man nicht so leicht, wirklich entzückend! Und vorher sind wir uns auch schon einmal über den Weg gelaufen. Sie wissen schon, wo …« Um seine Lippen spielte ein wissendes, selbstgefälliges Lächeln.
»Sie haben sich letztes Mal geirrt, und Sie irren sich auch jetzt«, antwortete ich. »Entschuldigen Sie, ich muss weiter.«
»Ich habe gesehen, wie er mit ihr den Club verlassen hat«, kam er direkt zur Sache. »Er hat die Kleine, die gestorben ist, nach Hause gebracht. Die mit den roten Haaren. Ich erinnere mich an ihn. Er war anständig zu mir, solche Menschen bleiben mir im Gedächtnis. Die meisten anderen nehmen mich doch überhaupt nicht wahr. Ich wette, seine Frau weiß nichts davon. Die Hochnäsige war seine Frau, oder? Kann mir nicht vorstellen, dass sie erfreut wäre, wenn sie es erfahren würde … Wirklich rührend, wie ausführlich Sie immer über die Sache berichten. Und so eine schöne Beerdigung – mit diesem Lied aus dem Radio, das sie gespielt haben, eine nette Idee. Glauben Sie nicht auch, dass es die Polizei brennend interessieren würde, dass er sie nach Hause gebracht hat? Und dass Sie ebenfalls davon wussten, aber nichts verraten haben? Wie nennt man das, Behinderung polizeilicher Ermittlungen oder Behinderung der Justiz oder so was?«
»Hören Sie, guter Mann, warum hauen Sie nicht einfach ab und belästigen jemand anderen?« Das blanke Entsetzen stieg in mir hoch, und ich griff in die Tasche und bot ihm eine Pfundnote an, damit er abhaute. Es funktionierte nicht.
»Dafür
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