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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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tut mir weh. Genau das will er auch, und er kann es nur auf diese Weise. Er weiß, dass ich – egal, was passiert – keine Szene riskieren werde, indem ich mich von ihm losreiße. Jetzt ist die Scharade komplett: das überglückliche Brautpaar und wir, die alten Freunde, die sich mit ihm freuen und ihrer Pflicht nachkommen.
    Dann sagt er: »Er liebt dich, weißt du.«
    Weiß ich das? Ich glaube, ich wusste es mal. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, will ich zu ihm sagen. Das war einmal. Jetzt beginnt das Danach.
    »Allerdings nicht genug«, fährt Stevie fort. »Wenn er dich genug lieben würde, könnte er ihr das nicht antun. Euch das nicht antun. Dann würde er alles auf eine Karte setzen, statt dich gehen zu lassen. Ich hätte dich nicht gehen lassen.«
    Bevor ich antworten kann, hat die Menge angefangen, uns anerkennend zuzujubeln. Und Stevie reagiert darauf, mitgerissen von der weinseligen Atmosphäre des Augenblicks und dem Funkeln der Lichterkette entlang der Bar. Mit einer schwungvollen, energischen Bewegung biegt er mich nach hinten, bis mein Haar – wäre es offen gewesen – über den Boden geschleift hätte. Unsere Körper berühren sich, eine anmutige, fließende Bewegung.
    »Weißt du noch?«, faucht er. Es ist eine Kampfansage.
    Kopfüber wirbelt er mich mit aller Macht herum, bis mir vor lauter Schwindel ganz schlecht wird. Plötzlich packt mich die Wut. Ich bete, dass ich mich weder übergebe noch Stevie so fest ins Gesicht schlage, dass ihm die Zähne klappern.
    Mike schwebt mit Cora im Arm vorbei. Sie hat uns den Rücken zugewandt, aber in seinen Augen lese ich, dass er die Szene wiedererkennt, und dieses Erkennen ist so schmerzhaft, dass ich am liebsten seinen Namen raunen würde. Ohne Vorwarnung küsst mich Stevie – heftig und begierig. Mir kommt gar nicht in den Sinn zu protestieren und noch viel weniger, den Kuss zu erwidern. Das ist es, was ihm den Rest gibt, viel wirkungsvoller als alles, was ich hätte sagen können. Unsere Blicke bohren sich ineinander, und als er die Abwehr in meinen Augen sieht, strömt das pure Elend aus ihm heraus. Zum Glück legt der DJ in diesem Moment den nächsten Song auf, der scheppernd und aufdringlich zu uns herüberschallt. Wie ein Erwachender, der den Ort, an dem er sich befindet, nicht mehr wiedererkennt, verliert Stevie das Gleichgewicht und stellt mich wieder auf die Füße. Ich bin wacklig auf den Beinen, aber meine Wut ist verraucht.
    »Es tut mir so leid«, wimmert er und vergräbt wieder das Gesicht in meinem Hals. Ich merke, dass er weint. Die Menge applaudiert, und Cora und Mike verbeugen sich. Cora strahlt übers ganze Gesicht, nur Mike starrt Stevie an. Ich halte ihn im Arm, froh darüber, dass es dunkel ist. Von einem Tisch aus, der in der Dunkelheit des Saals fast nicht zu sehen ist, beobachtet Phillippa die Szene durch einen Nebel aus Gin Tonic und fängt meinen Blick auf. Sie hat in der Darbietung gesehen, was anderen verborgen geblieben ist, aber allem Anschein nach enthält sie sich jedes Kommentars und greift stattdessen nach ihrem Glas.
    Bevor die Nacht zu Ende ging, wurde noch weiter ausgiebig dem Alkohol zugesprochen und so wild und hektisch auf der Tanzfläche herumgehüpft, dass ich Angst um meine inzwischen nackten Füße bekam, während ich inmitten von Mikes großen, rauflustigen, aber ausgesprochen liebenswerten Freunden von Hand zu Hand wirbelte. Etwas später, als die förmlicheren Gäste bereits auf müden Füßen in ihre Zimmer gewankt waren, lange nachdem Stevie zu viel Wodka vorgeschützt hatte und in sein Zimmer verschwunden war, stolperte Mike buchstäblich über den Flügel im Foyer. Zärtlich öffnete er den Deckel, fuhr mit zitternden Fingern über die Tasten. Leise spielte er eine vertraute Melodie.
    Ich hatte gar nicht gewusst, dass er spielen konnte. Wie war das möglich? Jedenfalls hatte ich nicht gewusst, dass er so schön spielen konnte, eigenartig präzise für jemanden, der so viel Bier getrunken hatte und vor Champagner förmlich überlief. Auch wenn sie es hinterher abstritt, schlief Cora an Tim gelehnt ein und ließ im Traum, so hoffte ich, einen perfekten Tag Revue passieren.
    Den ganzen Tag lang hatte sie rettungslos glücklich ausgesehen. Mike hatte mich natürlich nicht angerührt, aber nun, während die Musik durch den Flur und hinauf zu den Betten der bereits schlafenden Gäste schallte, sah er mich an und lächelte, und in der Melodie, die er – mit Bedacht oder instinktiv – so ausgesucht

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