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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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Zöpfen und Ringellöckchen aufsteckte, die sich aus eigenem Antrieb zu vermehren schienen und in denen kleine Lilien und goldene Haarnadeln wuchsen. In Kombination mit ihrem Morgenmantel bot Cora einen geradezu präraffaelitischen Anblick.
    Draußen war der Himmel mondweiß, und Nebel stieg aus der dunklen Scheibe des Sees empor. Alles wirkte unwirklich und magisch und seltsam und absurd und bewegend und irgendwie genau richtig.
    Cora mochte keine Schönheit sein, aber sie hatte nie hübscher ausgesehen als in ihrem schlichten Brautkleid mit der zarten Perlenstickerei im Stil der Dreißigerjahre und den passenden schmalen Schuhen mit einem Hauch von Seide an den Spitzen. Kein Schleier, nur eine Krone aus winzigen weißen Blüten im Haar, Iris und weiße Röschen, passend zum Strauß.
    Während wir auf das Hochzeitsauto warteten, verspürte ich den beinahe unüberwindlichen Drang, sie in den Arm zu nehmen und wie ein Kind hin und her zu wiegen. Aber ich hatte Angst, irgendeinen Teil von ihr zu zerknittern, deshalb nahm ich stattdessen ihre Hand und sagte: »Du siehst wunderschön aus, Cora.«
    Stevie erwies sich als Geschenk Gottes. Er trieb die langsamen Busse zur Eile an, versorgte die gackernden und jammernden Onkel und Tanten mit Champagner und Kanapees, bis sie gefügig waren wie kleine Kinder, kümmerte sich um den wachsenden Berg Geschenke und hielt die Jüngsten davon ab, am Ufer herumzuplanschen und die Schwäne mit Kieselsteinen zu füttern.
    Ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er mir im Vorbeiflitzen nervös zugrinst und dann überall dort, wo sie gebraucht werden, frische Gläser mit Champagner verteilt.
    Mir war vom Champagner und Wein ganz schwindlig, weil ich nichts gefrühstückt hatte und das Mittagessen noch auf sich warten ließ. Ich war so sehr Teil des Ganzen, so beschäftigt damit, mein Kleid sauber zu halten und jedem zuzulächeln und mich um Cora zu kümmern, dass ich buchstäblich neben meinem Körper stand, jenseits meines Körpers, jenseits aller Gedanken.
    Um neun Uhr abends zog ich mich in mein Hotelzimmer zurück, um fünf Minuten durchzuatmen und mir die schmerzenden Füße zu reiben. Ich brachte meine Haare in Ordnung, frischte Lippenstift und Puder auf und war wieder bereit für die große Show. Als ich die Tür hinter mir abschloss, stand plötzlich Stevie im schummrigen Hotelflur vor mir, groß und nervös. Er trug immer noch seinen dunkelblauen Anzug mit der fliederfarbenen Krawatte vom Vormittag und roch verdächtig nach Alkohol.
    Wir hatten kaum miteinander gesprochen seit dem Hochzeitsfrühstück, bei dem ich mit Mike und seinem Bruder Jeff, der immer wieder meine Hand küsste, alte Geschichten ausgetauscht und nebenbei einen Kollegen von Mike abgewehrt hatte, der vorgab, meine Zimmernummer zu kennen.
    Ich will etwas über meine schmerzenden Füße sagen, aber Stevie unterbricht mich.
    »Warum musst du verdammt noch mal so wunderschön sein?«, fragt er mich, und irgendwie ist es kein Kompliment.
    Einen Moment lang bin ich verwirrt und sprachlos. Seine Stimme klingt nicht verspielt, sondern schroff. Ich lache – aus alter Gewohnheit und weil sich dahinter alles verbergen lässt, weil es mir Zeit zum Nachdenken gibt. Ich bedanke mich und sage »War das nicht ein wunderschöner Tag heute?« und lege eine besonders liebevolle Note in das einstudiert neckische Lächeln, das ich für Stevie reserviert habe.
    Dann streiche ich ihm freundschaftlich über den Arm und will mich bei ihm unterhaken. Er ist der Gentleman, ich die Lady, das alte, tröstliche Spielchen.
    Aber Stevie spielt nicht mit an diesem Abend. Er hat dieses Spiel schon den ganzen Tag gespielt, sogar schon viel länger, er kann nicht mehr. Als er näher kommt und mich dann an die Wand drängt, merke ich, dass er betrunkener ist, als ich dachte.
    »Wie fühlst du dich?«, fragt er, und ich weiß, dass er sich nicht auf mein schweres seidenes Empirekleid oder meine kneifenden Schuhe oder meine Haare bezieht, die so fest mit Nadeln aufgesteckt sind, dass es allmählich wehtut. Aber ich gebe mich unschuldig und antworte: »Ich könnte dringend einen Jack Daniel’s gebrauchen. Es war ein langer, unvergesslicher Tag. Die beiden sehen so glücklich aus.«
    Selbst in meinen Ohren klingen diese Sätze hohl, auch wenn sie wahr sind, in gewisser Weise. Wieder weigert sich Stevie, das Spielchen mitzuspielen. Als ich beinahe über meinen Rock stolpere, streckt er die Hand aus und stützt mich. Es ist keine nette Geste.
    »Hör auf

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