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Saat des Feuers

Saat des Feuers

Titel: Saat des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Palov
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Bank, und sie setzten sich Seite an Seite auf die Matratze, sodass sich ihre Schultern leicht berührten. Vor ihnen auf der Bank ausgebreitet platzierte Edie die Zeichnung des Fensters, die handgeschriebene Übersetzung von Philippas Quartetten, ein leeres Blatt Papier und zwei gespitzte Bleistifte.

    »Wenn man einen Code entschlüsseln will, dann ist die beste Faustregel, dass man keine Möglichkeit unversucht lassen sollte«, erklärte er. »Gefängnisse sind voller Diebe und Mörder.«
    »Kein Witz? Worauf willst du hinaus?«
    Er lächelte über ihre Frage, die ihm langsam vertraut wurde. »Such nach dem Offensichtlichen. Jedes Glied in der Kette ist irgendwie von Bedeutung.«
    »Nun, die Gänse in dem Korb sind ziemlich eindeutig, findest du nicht?«
    »Das ist wahr. Aber welche Bedeutung hat es, dass es ein Paar ist? Wir wissen, dass eine der Gänse die gute Hausfrau Philippa repräsentiert. Aber was ist mit der anderen?«
    Edie zuckte die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Aber die Tatsache, dass Philippa uns nach Canterbury geführt hat, lässt mich glauben, dass sie die Bundeslade möglicherweise der Kathedrale gespendet hat. Die fragliche Szene zeigt ja die heilige Familie im Tempel von Jerusalem.«
    Cædmon dachte einige Sekunden lang über diesen Gedanken nach. Obwohl die Vorstellung etwas für sich hatte, erschien ihm irgendetwas daran nicht plausibel.
    »›Ich weiß nicht, wie der Welt gedient ist mit solcher Not‹«, las er laut die Zeile der vierten Strophe. »Es ist klar, dass Philippa die Pest dem unrechtmäßig erworbenen Schatz ihres Gemahls zuschreibt. Als gute Katholikin hätte Philippa die Kirche sicher nicht mit derselben Not belasten wollen.«
    Edie stand vom Bett auf, ging zu dem einzigen Stuhl im Zimmer, der klobigen Reproduktion eines antiken Sessels. Sie hob die Umhängetasche auf, holte eine metallene Nagelfeile aus dem Reißverschlussfach und setzte sich.
    »Ich hab mir einen Nagel abgebrochen.«
    Cædmon erkannte, dass sie nicht in der Stimmung war, die Zeichnung zu entschlüsseln, und starrte mürrisch vor sich auf die Holzbank. Im Grunde überraschte ihn ihr Mangel an Begeisterung
nicht im Geringsten, denn die Ereignisse des Tages hatten ihr zweifellos schwer zugesetzt.
    »Wirst du die Weihnachtsfeiertage mit deiner Familie verbringen?«
    Cædmons Kopf fuhr hoch. Edies unerwartete Frage traf ihn unvorbereitet. Auch wenn ihm klar gewesen war, dass sie ihn irgendwann nach seinem Privatleben fragen würde, war er so töricht gewesen zu glauben, dass sie es nicht so bald tun würde.
    »Mein Vater starb vor einigen Jahren. Aber sogar als er noch lebte, haben wir Familienfeste nie großartig gefeiert. Weihnachten blieb meist auf der Strecke, als ich ein Kind war. Meine Mutter starb bei meiner Geburt«, fügte er hinzu, da er ihre nächste Frage vorhersah.
    »Das ist das erste Mal, dass du deine Familie erwähnst.«
    »Die Beziehung, die ich zu meinem Vater hatte, könnte man als angespannt bezeichnen. Er war streng und hatte keine Zeit für Nichtigkeiten.«
    »Klingt wie ein ziemlicher Kotzbrocken.«
    »Eigentlich war er Rechtsanwalt.«
    Edie lachte laut auf. »Tut mir leid. Das war nur wegen der Art, wie sich das angehört hat. Es klang so …«
    »Absurd?« Die alten Wunden schmerzten nicht annähernd so sehr wie früher, und er brachte sogar ein schiefes Lächeln zustande. »Ja, unser Verhältnis hatte eine gewisse Absurdität an sich.«
    »Von der Absurdität einmal abgesehen, ich wette, dein Vater war stolz auf dich. Weil du in Oxford studiert hast und all das.«
    Cædmon schnaubte verächtlich. »Vielleicht. Als ich Oxford verließ, hat ihn jedenfalls die Schande umgebracht.«
    »Glaubst du nicht, dass du da ein klitze kleines bisschen übertreibst?« Mit Daumen und Zeigefinger deutete sie »klitzeklein« an.
    Er schob die Bank zur Seite und stand auf. Da er nicht viel Platz zum Auf- und Abgehen hatte, ging er zum Kamin hinüber. Die Beichte war eine unangenehme Angelegenheit, deshalb wandte er ihr den Rücken zu.

    »Wenige Tage nach meinem Oxford-Debakel wurde ich ins Krankenhaus gerufen, wo sich mein Vater einer Untersuchung unterzog, weil er Unterleibsbeschwerden hatte.« Der sterile, weiße Raum erschien vor seinem inneren Auge, und er runzelte die Stirn, denn die Lebhaftigkeit der Erinnerung brachte ihn aus der Fassung. »Mein Vater trug ein hellblaues Krankenhausnachthemd. Es war das erste Mal, dass ich ihn je in Kleidung sah, die nicht ordentlich gebügelt war.« Er sah

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