Saat des Feuers
nur durch das Geräusch des Rollstuhls beantwortet, der mit voller Geschwindigkeit weiter vorwärtsgeschoben wurde.
Als beträte man einen von Dantes tieferen Kreisen der Hölle , dachte Edie wenige Sekunden später, während sie in die von einer Kuppel
überwölbte Rotunde gelangten. Wohin sie auch blickte, reihten sich Menschentrauben willkürlich zu verschlungenen Schlangen auf, die auf den Haupteingang zuwogten. Vor den Ausgangstüren tasteten uniformierte Wachen jeden einzelnen Besucher ab, bevor sie ihm erlaubten, das Gebäude zu verlassen. Edie vermutete, dass sie nach dem Schützen suchten.
»Scheint so, als führten alle Straßen nach Rom«, bemerkte Cædmon, während er den Rollstuhl vorwärtssteuerte.
Wie im Court Garden war auch die Luft in der Rotunde wegen all der Topfpflanzen feucht wie in einem Dschungel. Aus Angst, dass Padghams Mörder hier irgendwo auf der Lauer lag, zog Edie das Kinn dicht an die Brust und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen.
Kaum hatten sie die Rotunde hinter sich gelassen, fing Cædmon an zu laufen.
Bronzeskulpturen. Flämische Stillleben. Della Robbias.
Berühmte Kunstwerke rauschten mit solch schwindelerregender Geschwindigkeit an ihr vorbei, dass Edie fürchtete, sich übergeben zu müssen.
»Ein bisschen langsamer, wenn’s geht! Mir wird richtig übel von der Raserei.«
Wenn Cædmon sie gehört hatte, dann ließ er es sich nicht anmerken. Der Mann erwies sich immer mehr als Kotzbrocken.
Nachdem sie drei Viertel des Museums in weniger als zwei Minuten durchquert hatten, schob Cædmon sie in den West Garden Court, ein Spiegelbild des offenen Hofes auf der gegenüberliegenden Seite des Museums. Mit einem scharfen Schlenker nach links schaffte er es irgendwie, die Kontrolle über den Rollstuhl zu behalten, der auf einem Rad die Kurve nahm. Sekunden später sah Edie die Marmorwand, die das Ende der Haupthalle anzeigte.
»Schnell! Bremsen!«, kreischte sie, als eine lebensgroße Statue des heiligen Johannes vom Kreuz direkt vor ihr auftauchte. Heftig krallte sie sich an den gepolsterten Armlehnen fest, als Cædmon
den Rollstuhl nur wenige Zentimeter vor dem ernst dreinblickenden Heiligen abrupt zum Stehen brachte.
»Teufel noch mal!« Suchend sah er sich um. »Hier sollte ein Aufzug am Ende der … Ah, ja, da ist er, Steuerbord voraus.« Cædmon schob den Rollstuhl zum Fahrstuhl, der versteckt zu ihrer Rechten lag.
Edie drückte auf den Knopf und sofort glitten die Metalltüren auf. Es war nicht genug Platz, um den Rollstuhl zu wenden, deshalb saß sie mit dem Gesicht zur hinteren Wand des Aufzugs. Innerhalb weniger Augenblicke würden sie außerhalb des Museums in Freiheit sein, denn der Ausgang zur 7th Street lag auf der unteren Ebene.
In Vorbereitung auf den letzten Ansturm der Kavallerie öffnete Edie ihre Tasche, wühlte darin herum und fand dabei die nun aufgeweichte Packung aufgetauten Spinats.
»Was tun Sie da?«
Edie bedachte Cædmon mit einem flüchtigen Blick. »Ich suche nach den Autoschlüsseln.«
»Mit Ihrem Fahrzeug zu fahren, wäre keine gute Idee.«
Sie stützte den Arm auf der Rückenlehne des Stuhls ab und drehte sich zu ihm um, sodass sie ihn ansehen konnte. »Sie machen Witze, oder? Der Jeep ist unsere einzige Fluchtmöglichkeit.«
»Woher, glauben Sie, wusste der Schütze, wo Sie sind? Ich wette, das war keine bloße Vermutung.«
»Vielleicht war es ja gut geraten. Und vergessen wir nicht den guten alten Zufallstreffer«, gab sie zurück. Dann, als sie erkannte, wie kindisch sie sich anhörte, lenkte sie ein. »Okay, er ist mir hierher gefolgt. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass er uns nicht folgen wird, wenn wir abhauen. Ich kenne diese Stadt wie meine Westentasche. Vertrauen Sie mir, Cædmon. Ich kann uns hier rausholen.«
Sie beobachtete ihn, wie er über ihren Vorschlag nachdachte. Er war in Versuchung, das sah sie in seinen Augen.
»Da gibt es eine kleine Seitengasse einen Block vom Federal
Triangle entfernt. Wenn wir verfolgt werden, dann ist das der perfekte Ort, um sie abzuhängen.«
Die Aufzugtür öffnete sich mit einem melodischen Pling . Cædmon fuhr den Rollstuhl rückwärts heraus und steuerte den Ausgang zur 7th Street an, wo sich eine nahezu identische Szene abspielte, wie die, die sie in der Rotunde beobachtet hatten.
Als Edie all das hektische Durcheinander, die allgemeine Verwirrung und das absolute Chaos dort sah, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus.
Das Ende war in Sicht.
18
Den
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