Saat des Feuers
ersten Fassung nur wenige Fehler unterliefen.
»Hoffentlich ergeben diese Verse jetzt einen zusammenhängenderen Sinn«, meinte er und schob seiner Begleiterin das Blatt Papier hin.
Edie hob das handgeschriebene Blatt vom Tisch auf und hielt es auf Armeslänge vor sich. Stumm las sie die Übersetzung und bewegte dabei die Lippen.
Der gnadenlose Westwind ritt heraus aus Salomons Stadt und sang triumphierend.
Aber ein Geisterfeuer folgte wie ein tödlicher Sturm. Reumütig wegen seiner Sünden tat der befleckte Hirte Buße. Dann eilte er heimwärts, der unrechtmäßig erworbene Schatz zurückgelassen auf heiligem Land Ufer.
Von Jerusalem ritt eine Kompanie von Rittern aus in heidnische Lande.
Jeder von ihnen versuchte, den anderen zu übertreffen auf dem Heideland Feld von Esdrelon.
Sie kämpften bis zum Tod, der tugendhafte Ritter gewann das Feld.
Und mit dem Beweis seines Heldenmuts hielt er den heiligen Bund.
Derselbe ehrenwerte Ritter kam aus fremden Ländern nach England.
Er brachte eine Truhe und glänzendes Gold in die Stadt, wo er geboren war.
Mit offenen Augen sah er nun die schwarze Pest, die er geschaffen. Und als der bedauernswerte Ritter dies sah,
war sein Tod wohlverdient.
Die vertrauenswerte Gans weinte bitterlich,
denn nun alle waren tot.
Ich weiß nicht, wie der Welt gedient ist mit solcher Not.
Doch wenn ein Mann mit tiefgläubigem Herzen
den gesegneten Märtyrer sucht,
Dort in dem Schleier zwischen zwei Welten
ist die versteckte Wahrheit zu finden.
Als sie wortlos das Blatt Papier auf den Tisch sinken ließ, konnte Cædmon an Edies Stirnrunzeln erkennen, dass die Übersetzung sie ebenso verwirrte wie der Originaltext.
»Ich schlage vor, dass wir uns die allegorischen und symbolischen Bezüge der Reihe nach vornehmen. Formulierungen wie ›der gnadenlose Westwind‹, der ›befleckte Hirte‹ und der ›Schleier zwischen zwei Welten‹ dürften als Teile des Codes gedacht sein, die innerhalb der Quartette strategisch platziert wurden. Der Schlüssel zur Lösung des Rätsels wird davon abhängen, wie wir diese symbolischen Begriffe dekodieren, die in jeder Verszeile enthalten sind.«
»Und was, wenn Galen sein Worträtsel mit einem Bündel irreführender Hinweise vollgepackt hat?«, fragte sie immer noch stirnrunzelnd.
»Oh, ich habe keinen Zweifel daran, dass Galen ganz bewusst semiotische Köder in den Vierzeilern ausgelegt hat. Der mittelalterliche Verstand war recht flink, wenn es darum ging, geheime Botschaften in scheinbar unverfänglichen Texten zu verstecken.«
Edie starrte die Strophen des Gedichts an. »Irgendetwas sagt mir, dass wir einen Code-Knacker vom CIA brauchen werden.«
»Nimm das hier zum Beispiel«, sagte er und deutete auf die erste Textzeile. »›Der gnadenlose Westwind ritt heraus aus Salomons Stadt und sang triumphierend.‹ Das bezieht sich eindeutig auf Schischak, der Jerusalem verlässt, nachdem er erfolgreich Salomons Tempel geplündert hat. Der Tod folgte daraufhin den Spuren der Ägypter, und der erste Vierzeiler endet damit, dass Schischak den
geklauten Schatz zurücklässt, während er und seine Armee nach Ägypten zurückeilen.«
Edie kniff argwöhnisch die Augen zusammen. »Wenn ich mich nicht gewaltig irre, dann genießt du das hier tatsächlich.«
»Wer würde denn nicht die Feinheiten eines gut konstruierten Worträtsels genießen?«
»Nun, ich, für den Anfang«, nörgelte seine Begleiterin. »Ich bin eher der Sudoku-Typ. Weißt du, wir sitzen nur deshalb hier in der Duke Humphrey’s Library, weil wir annehmen , dass Galen of Godmersham beim Verfassen seiner Quartette auch tatsächlich Hinweise auf das Versteck der goldenen Truhe einbaute.«
»Das ist unsere Grundannahme«, bestätigte er mit einem Nicken.
»Dann ist dir schätzungsweise bereits der Gedanke gekommen, jemand könnte die Vierzeiler schon vor Jahren entschlüsselt und den Schatz gefunden haben.«
»Da man den Wagen nicht vors Pferd spannen sollte, werden wir uns mit diesem Fall auseinandersetzen, wenn er eintreten sollte.«
Mit einem neckischen Funkeln in den Augen lächelte Edie. »Ich glaube, an dieser Stelle sollte ich einen unflätigen Vergleich zwischen dir und dem hinteren Ende eines Pferdes anstellen.«
Er konnte nicht anders, als in diesen lebhaften braunen Augen zu versinken. Seit dem Kuss im Bus hatte die Luft zwischen ihnen sich immer mehr mit sexueller Energie aufgeladen. Er fragte sich, ob der Sturm vorübergehen oder das Gewitter sich über ihnen entladen
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