Sabihas Lied
Kunst des Würzens ebenso gut beherrschen wie die Kunst des Liebens. Wenn ihr das gelingt, wird sie ihren Mann niemals verlieren, auch dann nicht, wenn sie ihre Jugend und ihre Schönheit verliert. Das schwöre ich dir!« Sabiha errötete, Houria lachte und gab ihr einen Kuss. »Eines Tages wirst du einem Mann begegnen, den du auf Anhieb als Mann deines Lebens erkennen wirst. Das war schon immer so. So war es auch bei Dom und mir. Die wahre Liebe gibt sich immer gleich zu erkennen.«
Mit ihrer neuen Frisur wirkte Houria selbstbewusster als jemals zuvor. Das lag nicht zuletzt an ihrer Haltung. Nachdem sie sich die Haare hatte abschneiden lassen, war sie nicht länger bloà Dom Pakosâ Witwe, die das Geschäft mehr schlecht als recht weiterführte, sondern die ehrfurchtgebietende Patronne des Cafés. Jetzt stand sie auf eigenen FüÃen. Sie gewöhnte sich schnell an die Verantwortung, übernahm sie voll und ganz. Sie wurde zu einer richtigen Persönlichkeit. Durch den Tod ihres Mannes hatte Houria zu sich selbst gefunden. Er hatte vieles in ihr freigesetzt. Es dauerte einige Zeit, bis sie es sich eingestand. Aber es war nun mal die Wahrheit. Nach Doms Tod zeigte sich ihr ganzer Einfallsreichtum, und sie setzte ihre Ideen in die Tat um. Und es funktionierte. Sie war erfolgreich. Damit hätte sie nie gerechnet, sie war wie berauscht von diesem Erfolg.
Jetzt, da der schwere Haarfladen verschwunden war, hatte Hourias Lächeln an Strahlkraft gewonnen, und ihre Schritte waren so leicht geworden wie bei den Frauen, die sie früher beneidet hatte. Sie ertappte sich dabei, glücklicher zu sein, als sie es zu Lebzeiten ihres geliebten Doms je gewesen war, und musste sich ab und zu ermahnen, jeden Tag mit Würde und Dankbarkeit ihres verstorbenen Mannes zu gedenken. SchlieÃlich hatte Dom sie nicht mit leeren Händen zurückgelassen. Sein Vermächtnis bildete das bescheidene Fundament, auf dem sie und Sabiha ihr neues Unternehmen aufbauten. Es war nun anders. Auch das Leben war ohne ihn anders. Trotzdem war Dom immer noch da. Nachts besuchte er sie. Wenn sie ihn brauchte, fand er Wege, sie zu erreichen. Dom war nach wie vor Teil ihres Lebens. Doch allmählich wich sein Einfluss den neuen Gegebenheiten, und sie erzählte Sabiha immer seltener von ihm. Sein Grab suchte sie nie auf. So wollte sie ihn nicht in Erinnerung behalten.
Die Arbeiter, die zum Mittagessen ins Café kamen, diese tunesischen Männer, die dem gleichen Volk angehörten, von dem sie stammte, wussten nichts von Doms Existenz, sie aber wusste noch alles. Immerhin schlief sie nachts weiter in ihrem alten Ehebett. Sie sprach immer noch mit ihm, liebte ihn auch körperlich, verschaffte ihm Lust, wie er ihr Lust verschaffte. Und während Sabiha in ihrem Hinterzimmer mit dem kleinen Einzelfenster zur Gasse hin â wo in der Ferne ein Licht blinkte, auf der Spitze eines Gebäudes hinter dem Gare Montparnasse, das mitnichten der Eiffelturm war â schlief und träumte, war Houria wie stets Doms Liebeskönigin.
Beide Frauen waren glücklich. So glücklich es eben ging. Sicher, gelegentlich vermisste Houria ihren Dom so sehr, dass ihr plötzlich ganz bange wurde und sie sich völlig verloren fühlte, als riefe er sie aus der Gruft zu sich. Und manchmal hatte sie den Eindruck, an seinem Tod trüge sie die Schuld, als hätte sie sich nicht genug um ihn gekümmert. Doch insgesamt hatte sie sich damit arrangiert, dass er nicht mehr da war, und hätte ihn sich auch nicht zurückgewünscht, wenn ein solcher Wunsch möglich gewesen wäre. Sie führte ein neues Leben. Ein eigenes Leben voller VerheiÃungen. Und sie hatte die schöne Tochter ihres Bruders an ihrer Seite.
»Du bist die Tochter, die ich nie hatte«, sagte sie zu Sabiha.
»Fühlst du dich sehr einsam, Tantchen?«, fragte Sabiha. Sie saÃen aneinandergekuschelt auf der grünen Couch im kleinen Wohnzimmer unter der Treppe, beide müde vom langen Arbeitstag, während im Gaskamin blaue und gelbe Flammen beruhigend knisterten.
»Ich habe doch dich«, sagte Houria und küsste Sabiha auf die Wange. »Wie sollte ich mich da einsam fühlen?« Sabihas Wange fühlte sich unter ihren Lippen herrlich weich an. »Du hättest Dom geliebt, und er dich. Du wärst für ihn auch wie eine Tochter gewesen.«
»Hast du denn früher kein Kind gewollt?«, fragte Sabiha scheu.
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