SACHMET - KATZENDÄMMERUNG Band 2 - Horror - Thriller
auch draußen stockdunkel geworden war. Bastets kerzenbeschienener Tempel hatte mich völlig die Zeit vergessen lassen. Neugierig sah ich auf meine Uhr; die Zeiger verkündeten 7 Minuten nach 10. Sollte ich tatsächlich beinahe vier Stunden lang Beschwörungsformeln rezitiert haben? Ich hätte höchstens ein Viertel der Zeit vermutet. Der intensive Weihrauch und das Sistrengerassel mussten mich in eine Art Trance versetzt haben, anders konnte ich mir dieses ›time-lack‹ nicht erklären.
Ohne eigentlich zu wissen, wohin, fuhr ich zunächst nach Süden auf der I 10 und von dort in Richtung L.A. Als nach einer Weile das Neonschild eines ›Burger King‹ auftauchte, machte ich erst einmal einen Zwischenstopp, um mich mit Diät-Cola zu versorgen. Erst nach dem zweiten, eiskalten Becher fühlte sich meine Kehle wieder halbwegs normal an.
Meine Gedanken blieben aber auch weiterhin konfus. Immer wieder wanderte mein Blick zu dem unscheinbaren Jutehaufen auf dem Beifahrersitz. Mein unfreiwilliger Fahrgast schien entweder zu schlafen oder aber vor Angst erstarrt zu sein. Ahnte er etwa, was ihm bevorstand? Energisch zwang ich mich dazu, nur noch die Fahrbahn im Auge zu behalten.
Was stellte ich mir auch für verrückte Fragen; in dem Sack befand sich nichts weiter als eine räudige Hauskatze. Keine Göttin, nur ein instinktgetriebener Mäusefresser, dessen Lieblingsbeschäftigungen Streunen und Schlafen waren.
Als ich die Skyline von San Bernadino vor mir auftauchen sah, fasste ich einen Entschluss. Bastet hatte etwas von Wasser erzählt, von einem Fluss oder See, in den ich die Katze werfen sollte. Ertrinken war vielleicht ein grausiger Tod, doch sah ich keine andere Alternative. Es wäre mir einfach unmöglich gewesen, das Tier zu erwürgen oder mit einem Stein zu erschlagen. Wenn ich die Katze schon töten musste, so wollte ich wenigstens nicht direkt Hand an sie legen.
Hinter der Stadt lenkte ich den Wagen nach Nordosten auf die hoch aufragenden Berge zu. Die Straße führte in Windungen steil zwischen den San Gabriel und San Bernadino Mountains hindurch. Kurz vor Hesperia wechselte ich auf eine staubige Nebenstraße, die sich von Norden her wieder dem Massiv näherte. Nur wenige Meilen später erreichte ich mein Ziel.
Der kleine See, der von steilen Felsen umrahmt wurde, schimmerte fahl im Mondlicht. Lediglich das stete Dröhnen einer Pumpstation störte die Idylle. Wie an vielen anderen Orten, so wurde auch hier das kostbare Nass in das gewaltige Äquadukt-System von L.A. eingespeist. Wasser war in einem Land, das zu 75 Prozent aus Wüste bestand, kostbarer als Gold. 2500 Meilen lang zog sich mittlerweile das Pipelinenetz bis weit in den Norden des Sacramento-Valley. Über sechs Milliarden Dollar waren investiert worden. Und mit welchem Resultat? Eine blühende Landschaft wie das Owen-Valley hatte sich wieder in eine Wüste verwandelt, das Vogelparadies am Mono Lake war nahe daran, zu versalzen, aber der gierige Moloch Los Angeles hatte immer noch nicht genug. Der Kampf ums Wasser war seit fast 70 Jahren eine nicht enden wollende Geschichte über bürokratischen Sumpf, Fehlplanungen, falsche Bodenbewirtschaftung und überhöhte Subventionen.
Ich fuhr auf einen verlassenen Besucherparkplatz und stieg aus. Fast augenblicklich fuhr mir die eisige Nachtluft durch alle Glieder. Es war schon verrückt; während sich in der Stadt auch jetzt noch die Hitze staute, herrschten hier und in der angrenzenden Mojave-Wüste winterliche Temperaturen. Bereits ab Oktober näherte sich hier das Quecksilber nicht selten dem Gefrierpunkt. Hüpfend und mit kräftigem Armkreisen versuchte ich der rauen Witterung zu trotzen. Die Luft war hier oben schon wieder viel zu ungemütlich, um eine tatsächliche Erholung vom städtischen Brutkessel darstellen zu können.
Ich hasste diese paradoxen Extreme. Glücklicherweise erinnerte ich mich daran, dass noch eine alte Windjacke im Kofferraum liegen musste. Ich hatte sie im vergangenen Jahr auf einem kurzen Foto-Trip durch die High-Sierra getragen. Phil und ich waren damals spontan zum Kings-Canyon-Park gefahren und hatten für knapp eine Woche sämtliche Trails unsicher gemacht. Ich seufzte. Diese Tage schienen Jahrhunderte zurückzuliegen.
Nachdem ich mir den Reißverschluss bis zum Kinn zugezogen hatte, nahm ich meine lebende Fracht vom Sitz und folgte einem schmalen Wanderpfad, der um den See herum führte. Nach einer Weile war das Brummen der Pumpstation nicht mehr zu hören. Ich
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