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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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seinem angeblichen Meeting, während Liv und Gabriel einem Mann in weißem Overall durch kahle Betonflure folgten, die nach Urin, Fäkalien und Verzweiflung stanken. Hier und da drehte sich träge ein Ventilator an der Decke, doch sie mischten die Gerüche nur und kühlten kaum.
    Schweigend gingen sie durch die Gänge, und der Zustand der Flure und Zimmer wurde immer schlimmer, je tiefer sie in das Gebäude vordrangen. Offensichtlich hatte sich Said Aziz während seines langen Aufenthalts hier keinerlei Privilegien verdient. Nach einer Weile ging es in ein Kellergeschoss, und es gab nur noch künstliches Licht von ein paar schwachen Glühbirnen, die der Pfleger anschaltete, als sie den Fuß der Treppe erreichten. Die Patienten hier unten – falls ›Patienten‹ denn das richtige Wort war – verbrachten offenbar die größte Zeit ihres Lebens in Dunkelheit und allein mit ihren Dämonen. Schließlich blieb der Pfleger auf halber Strecke durch den Gang stehen und winkte in Richtung der letzten Zelle links, wohin das Licht nicht ganz reichte. »Aziz«, sagte er in verächtlichem Tonfall. Dann drehte er sich um und ging. Offensichtlich wollte er so wenig Zeit hier unten verbringen wie möglich. Liv und Gabriel lauschten den sich entfernenden Schritten auf der Treppe, und wenige Sekunden später waren sie allein mit den Überresten dessen, was einst Menschen gewesen waren. Die ›Patienten‹ hatten ebenfalls gehört, dass der Pfleger gegangen war, und plötzlich wurde das Zwielicht von Schlurfen und kehligem Kichern erfüllt. Gabriel drehte sich zu Liv um. Er wünschte, er hätte sie nicht mitgebracht, doch sie lächelte nur und nahm seine Hand.
    Dann brach plötzlich ein furchtbarer Lärm im Gang aus.
    Ein paar Sekunden lang standen Gabriel und Liv einfach nur da und hielten einander an den Händen, während das Brüllen unzähliger Stimmen sie umschlang und die Gitterstäbe klapperten. Dann erfolgte ein lautes Krachen. Ein Mann hatte sich mit Anlauf gegen die Gitter seiner Zelle geworfen, und eine blutende Wunde klaffte an seinem Kopf. Ihm gegenüber hatte ein anderer Mann die Hose heruntergezogen und wedelte obszön mit seinem Penis, der von jahrelangem Missbrauch wund und vernarbt war, während er vor Schmerz und Lust stöhnte. Liv und Gabriel bemerkten die Gestalt hinter sich zunächst gar nicht, die sich langsam vom Boden erhob, bis ein furchtbares Kreischen dem Lärm ein Ende machte und die Insassen in die dunkelsten Ecken ihrer Zellen trieb.
    Gabriel wirbelte zu dem Geräusch herum und sah einen knochendünnen Mann, der sie durch die Gitterstäbe hindurch beobachtete. Sein Oberkörper war nackt, und die gesamte rechte Seite seines Körpers war so dicht mit Narben bedeckt, dass er Schuppen anstelle von Haut zu haben schien. Die Narben erstreckten sich von seiner Hand, die mehr an eine Klaue erinnerte, bis zum Hals und zum Kopf hinauf, wo die Haut so sehr gespannt war, dass sie seinem Gesicht einen permanent fragenden Ausdruck verlieh. Und da war dieser ganz spezifische Geruch, der angesichts der Geschichte des Mannes besonders beunruhigend war: der Geruch von Haut.
    »Said Aziz«, sagte Gabriel. Er legte die Hand aufs Herz und verneigte sich respektvoll. »Mein Name ist …«
    »John!«, rief die Gestalt voller Staunen. Er verzog den Mund zu einem Lächeln, das dort, wo die Verbrennungen begannen, mehr an ein Zähnefletschen erinnerte. »John Mann!« Er trat ins Licht. Sein rechtes Auge war weiß und blind, und mit dem linken betrachtete er eingehend Gabriels Gesicht.
    Gabriel ließ die Musterung über sich ergehen. Liv hielt ihn noch immer tröstend an der Hand.
    »Aber ich habe dich sterben sehen.« Aziz’ Stimme klang rostig vom mangelnden Gebrauch, und die zerstörten Muskeln um seinen Mund herum ließen sein Englisch seltsam formell klingen.
    »Ich bin auch gestorben«, erwiderte Gabriel. Er spielte mit, um das Vertrauen auszunutzen, das sein Vater vermutlich aufgebaut hatte. »Aber jetzt bin ich zurückgekommen, und ich suche nach den Leuten, die uns das angetan haben. Ich will es ihnen heimzahlen.«
    Der Mann verzog das Gesicht erneut zu dieser seltsamen Mischung aus Lächeln und Zähnefletschen. Dann nahm sein Gesicht einen misstrauischen Ausdruck an, und er trat näher an die Gitterstäbe heran. »Dann musst du den Drachen töten«, flüsterte er.
    »Ja«, entgegnete Gabriel. »Erzähl mir von dem Drachen.«
    Aziz zuckte unwillkürlich zusammen und kauerte sich auf den Boden. Mit seinem weißen Auge

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