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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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starrte er an die Decke, als sehe er damit noch einmal das Letzte, was es erblickt hatte, bevor es verbrannt worden war. »Wir haben ihn zuerst nur gehört, erinnerst du dich? Ein Brüllen in der Wüste und das Schlagen von Flügeln.«
    »Wie hat er ausgesehen?«
    Aziz stampfte mit dem Fuß auf und funkelte ihn an. »Du hast ihn doch GESEHEN!«, schrie er mit der Wut eines Mannes, der seit zwölf Jahren immer wieder dieselbe Geschichte erzählt hatte, ohne dass ihm jemand geglaubt hätte. »Sag mir jetzt nicht, er sei nicht da gewesen. Die anderen sind Narren. Aber du … Du hast ihn gesehen.« Zorn brannte in seinem Gesicht und wich dann der Verwirrung. Aziz hob die rechte Klaue und rieb sich mit den Knöcheln über das geschmolzene Fleisch an seinem blinden Auge. »Nein«, sagte er, als er sich an mehr erinnerte. »Du warst unten in der Ausgrabung, als der Drache gekommen ist. Du warst in der Bibliotheksgrotte.«
    »Erzähl mir von der Bibliothek. Was haben wir dort gefunden?«
    »So viele Schätze. Daran solltest du dich doch erinnern.« Er tippte sich an den Kopf. » Ich erinnere mich. Ich erinnere mich an alles. Manchmal versuchen sie, mir meine Erinnerungen mit Tritten und Schlägen zu stehlen. Manchmal mit Strom. Aber ich behalte sie. Und ich erinnere mich.«
    »Erzähl mir, woran du dich erinnerst. Hat der Drache alle getötet?«
    Aziz schüttelte den Kopf. »Nicht der Drache hat den Tod gebracht. Das waren die weißen Teufel, die aus seinem Bauch entsprungen sind. Sie haben das Feuer und den Zorn gebracht. Sie haben alles verbrannt. Zelte, Fahrzeuge, Menschen. Es war einer der unseren, der uns verraten hat. Ich habe mich vor dem Drachen versteckt und gesehen, wie der Verräter den anderen Teufeln gezeigt hat, wo sie suchen müssen. Er war auch derjenige, der sie in die Höhle geführt hat, wo du gewesen bist. Er war derjenige, der dich getötet hat.«
    »Hast du gesehen, wer es war?«
    »Es war ein weißer Teufel, wie sie.«
    »Ein Westler?«
    Aziz schüttelte den Kopf. »Ein Geist. Sie waren alle Geister. Nur Geister können einen Drachen reiten. Der Geist ging in die Höhle, holte Kisten heraus und fütterte den Drachen damit. Er hat den Schatz gestohlen, den wir gefunden haben. Dann bebte die Erde, und die Höhle war weg. Du bist nie herausgekommen. Schließlich hat mich ein weißer Teufel gesehen und niedergestreckt.« Er hob die Hand an die Schläfe. »Als der Drache verschwunden war, hat mich das Feuer geweckt. Die Wüste hat mich gerettet, siehst du?« Er streckte den Arm aus. Staub war tief unter der Haut vergraben. »Ich bin jetzt ein Teil des Landes, und das Land ist ein Teil von mir. Asche zu Asche, Staub zu Staub.«
    »Und nachdem du das Feuer gelöscht hast, was hast du dann getan?«
    Aziz schüttelte den Kopf. »Alle waren tot. Alles brannte. Ich hatte Angst, dass das Feuer mich wieder berühren könnte. Ich hatte Angst, dass der Drache wieder zurückkehren könnte. Also bin ich in die Wüste gerannt. Aber der Drache weiß, dass ich noch lebe. Und er will beenden, was er begonnen hat … Ich fühle es.« Aziz trat vor und umklammerte die Gitterstäbe. »Finde den Drachen, John Mann. Töte ihn für mich, damit ich endlich frei sein kann. Nur du kannst den Drachen zähmen … Denn jetzt bist du auch ein Geist.«

96
    Athanasius saß im privaten Waschraum des Abts mit dem Rücken zur Tür, und sein Gesicht wurde vom Licht des Handydisplays erhellt. Draußen hörte er Vater Thomas laut mit Malachi reden. Er hatte den alten Mann abgelenkt, während Athanasius sich davongestohlen hatte.
    Athanasius öffnete die SMS und drückte auf ›Senden‹. Diesmal gab es keine Fehlermeldung. Trotzdem wartete er, bis der Bildschirm schwarz wurde. Dann tippte er zur Sicherheit noch mal darauf. Der Bildschirmschoner war an und zeigte das Bild der Spiegelprophezeiung. Seit Gabriel ihm das Bild in der Dunkelheit des Beinhauses zum ersten Mal gezeigt hatte, hatte Athanasius immer wieder über die Bedeutung der letzten Zeilen nachgedacht.
    Der Schlüssel muss der Sternenkarte heimfolgen
Um dort innerhalb einer vollen Mondphase das
Drachenfeuer zu löschen
Denn sonst wird der Schlüssel vergehen;
die Erde wird zerbrechen, und eine große Plage
wird das Ende aller Zeiten ankündigen
    Eine Plage.
    So hatte der Bruder Gärtner die Krankheit genannt, als sie zum ersten Mal im Garten aufgetaucht war, und jetzt zog sie durch die Tunnel des Berges und streckte die Menschen nieder. Und dann das Erdbeben, das den Berg

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