Sacramentum
und die anderen Gildenoberhäupter die Höhlenkathedrale betraten und sich nach vorne durcharbeiteten. Die Kathedrale war das einzige Gewölbe in der Zitadelle, das groß genug für alle war, und in ihrer Trauer vereint waren auch alle anwesend.
Im hinteren Teil standen die zahlreichen Graukutten, Mönche, die noch keiner Gilde zugeteilt worden waren, durch eine Reihe roter Wachen getrennt von den höheren Gilden. Die Braunkutten kamen als Nächste, die Steinmetze, Zimmermänner und andere Handwerker, welche die Substanz der Zitadelle erhielten. Sie waren so müde von der Arbeit der letzten Woche, dass Athanasius deutlich sah, wie sie im Stehen schwankten. Vor ihnen standen die weiß gewandeten Apothecari, die Mediziner unter den Mönchen, deren Können sie über alle erhob mit Ausnahme der Schwarzkutten, den Angehörigen der spirituellen Gilden, der Priester und Bibliothekare, die ihr Leben in der Dunkelheit der großen Bibliothek verbrachten, wo seit den Anfängen der Schrift das Wissen der Menschheit gehortet wurde.
Das pulsierende Geräusch, das die Gemeinde machte, hielt auch weiter an, als Athanasius seinen Platz am Altar einnahm und sich zu seinen Brüdern umdrehte. Wenn ein Prälat, das Oberhaupt des Ordens, zu Gott gerufen wurde, dann war es Tradition, dass der Abt die Totenmesse hielt und die Aufgaben des Prälaten übernahm, bis er entweder durch Wahl in dieser Funktion bestätigt oder ein anderer gewählt wurde. Doch nun lagen zwei Leichname unter dem T-förmigen Kreuz am Altar: links der Prälat und rechts der Abt. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte war die Zitadelle führerlos.
Als der Totengesang sich seinem Ende näherte, stieg Athanasius zu der Kanzel hinauf, die aus einem Stalagmiten gehauen war, und ließ seinen Blick über die versammelten Mönche und hinauf zu der Galerie schweifen, wo für gewöhnlich die Sancti standen, die Grünkutten. Selbst hier waren sie von ihren Brüdern getrennt, um sicherzustellen, dass die großen Geheimnisse, die sie hüteten, auch geheim blieben. Es hätten dreizehn von ihnen sein sollen, den Abt eingeschlossen, doch heute war die Galerie leer. In Abwesenheit des Abts oder eines natürlichen Nachfolgers aus den Reihen der Sancti, oblag es dem Kammerherrn des Abts, den Nachruf zu halten, und das war Athanasius.
»Brüder«, sagte er, und seine Stimme klang dünn, »dies ist ein trauriger Tag für uns. Wir sind ohne Führer. Aber ich kann euch versichern, dass diese Situation bald behoben werden wird. Ich bin mit den Oberhäuptern der Gilden übereingekommen, sofort Wahlen zu den Ämtern des Prälaten und des Abtes durchzuführen.« Ein Raunen ging durch die Versammelten. »Alle Kandidaten müssen sich bis zur Vesper morgen erklärt haben. Zwei Tage später finden dann die Wahlen statt. Wir haben uns auf dieses eilige Verfahren geeinigt, weil es gerade wegen des Fehlens natürlicher Nachfolger gilt, die Ordnung so rasch wie möglich wiederherzustellen.«
»Und warum sind wir in dieser Situation?«, rief eine Stimme mitten aus der Versammlung. »Wer hat befohlen, dass die Sancti aus dem Berg gebracht werden?«
Athanasius suchte nach dem Sprecher, der ihn herausgefordert hatte. »Das war ich«, antwortete er.
»Und wer hat dir die Autorität dazu verliehen?«, verlangte eine Stimme aus den hinteren Reihen der Graukutten zu wissen.
»Ich bin meinem Gewissen und dem Mitgefühl für meine Brüder gefolgt. Ein furchtbares Fieber hat die Sancti niedergestreckt. Sie mussten ärztlich versorgt werden, und da die Explosion ein solches Loch in unsere Mauern gerissen hat, war auch eine rasche Evakuierung möglich. Und draußen haben schon moderne Krankenwagen gewartet. Das war ein Zeichen, und ich habe es nicht in Frage gestellt. Ich habe Gott einfach dafür gedankt und rasch gehandelt, um meine Brüder zu retten. Wären die Sancti im Berg geblieben, sie wären schon längst tot … Dessen bin ich mir sicher.«
»Und was ist jetzt mit ihnen?« Das war wieder eine andere Stimme. Athanasius hielt kurz inne. Er hatte Angst, dass sich die Versammlung geschlossen gegen ihn wenden könnte. Seit er die Verantwortung der Ordensführung übernommen hatte, hatte Athanasius auch die Berichte und Kommuniqués lesen können, die für gewöhnlich nur der Abt aus der Außenwelt bekam. So hatte er dann auch vom Schicksal der Mönche erfahren, die er eigentlich hatte retten wollen.
»Sie sind alle gestorben … bis auf zwei.«
Wieder ging ein Raunen durch die Menge.
»Dann sollten wir
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