Sacramentum
haben wir bei den Sachen Ihres Vaters gefunden«, hatte er zu ihr gesagt. »Da drin ist eine Botschaft für Sie. Ich dachte, Sie sollten das sehen.«
Kathryn hatte ein in Leder gebundenes Buch in dem Beutel gefunden, das mit einer Schnur zusammengebunden war. Allein der Anblick trieb ihr schon die Tränen in die Augen. Es war die gleiche Art von altmodischem Tagebuch, wie ihr Vater sie stets benutzt hatte. Kathryn nahm ihre Lesebrille vom Nachttisch, öffnete vorsichtig die Schnur, klappte das Buch auf und fand auf den mittleren beiden Seiten eine Notiz in der schönen Handschrift ihres Vaters.
Alle anderen Seiten waren leer. Kathryn las die Notiz noch einmal, um sicherzustellen, dass sie nichts überlesen hatte, doch alles war so klar und deutlich wie beim ersten Mal. Aber was hatte er vor ihr verborgen? Kathryn hatte immer geglaubt, sie hätten keine Geheimnisse voreinander, dass sie alles miteinander teilen würden; doch wie es aussah, war dem nicht so gewesen.
Kathryn erinnerte sich daran, wie Oscar sich ihr schon als kleines Kind anvertraut und ihr erklärt hatte, dass sie anders seien als andere Menschen, dass sie von den Mala abstammen würden, dem ältesten Stamm auf Erden, besiegt von einem anderen, der versucht hatte, sie zu vernichten und das Wissen, das sie bewahrten, zu begraben. Er hatte ihr die geheimen Symbole gezeigt, sie die Mala-Sprache gelehrt und ihr ihre gemeinsame Mission erklärt, die natürliche Ordnung auf der Welt wiederherzustellen. Aber offensichtlich hatte er auch etwas derart Wichtiges vor ihr geheim gehalten, dass er sich verpflichtet fühlte, ihr das noch nach seinem Tod zu beichten. Vielleicht hatte sie ihn ja doch nicht so gut gekannt, wie sie geglaubt hatte.
Selbst die Botschaft hier hatte etwas an sich, das einfach nicht zu Kathryns Erinnerung an ihren Vater passen wollte. Er war stets so präzise in seiner Wortwahl gewesen, denn Worte transportierten die wichtigste Fracht von allen, hatte er immer gesagt, Bedeutung. Und doch war da ein Fehler. Ihr Vater hatte sie nicht gebeten, eine Kerze in seinem Namen anzuzünden, sondern an .
Plötzlich wurde ihr alles klar.
Das war kein Fehler.
Als Kathryn noch ein kleines Mädchen gewesen war, hatte ihr Vater ihr auch beigebracht, wie ihre Vorfahren ihre Geheimnisse bewahrt hatten. Eine dieser Methoden war die Verwendung von Zitronensaft statt Tinte. Wenn der Saft trocknete, war er unsichtbar, doch die Säure wirkte derart auf das Papier, dass die Botschaft wieder sichtbar wurde, wenn man eine Flamme daran hielt. Als Oscar geschrieben hatte, sie solle eine Kerze an seinem Namen anzünden, damit er noch immer mit ihr sprechen könne, dann hatte er das wörtlich gemeint.
Da war noch eine zweite Botschaft unter seiner Unterschrift. Jetzt brauchte Kathryn nur noch eine Flamme.
14
Polizeipräsidium, Trahpah
Adrenalin pumpte durch Gabriels Blut, während er in Gedanken alle möglichen Szenarien durchging. Wenn er alleine mit diesem Riesen in der Zelle landete, dann war er so gut wie tot. In den nächsten Sekunden musste er etwas unternehmen, bevor der Beamte ihn einsperren konnte.
Gabriel blickte zu der niedrigen Decke des Zellenblocks hinauf, weniger als ein Fuß über seinem Kopf. Da war nicht viel Platz zum Manövrieren. Glücklicherweise war der Polizeibeamte klein, was Gabriel ein paar Zoll Vorteil verschaffte, aber der Kerl war auch wie ein Gewichtheber gebaut – und er war bewaffnet. Neben dem Taser hatte er noch einen Schlagstock sowie ein Pfefferspray am Gürtel. Wenigstens hatte er keine Pistole.
Ein lautes Klang hallte durch den engen Gang, als der Beamte die Zellentür aufschloss. Gabriel löste sich ein wenig von der Wand, den Rücken zu dem Beamten, das Gewicht auf den Fußballen und die Knie leicht gebeugt, um das Gleichgewicht zu zentrieren.
»Tausend Lira, wenn Sie mich in eine andere Zelle stecken«, sagte er.
Er hörte ein verächtliches Schnauben hinter sich. »Und wie willst du mir das geben? Willst du mir einen Scheck schreiben?«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Ich zahle bar. Hier und jetzt.«
Er spekulierte darauf, dass der Cop noch von der alten Schule war und nichts dagegen hatte, sich ein wenig dazuzuverdienen. Bargeld war für schmutzige Cops wie eine Droge, und wie alle Junkies kümmerte es sie nicht, woher der Stoff kam, solange sie nur ihren Fix bekamen.
»Wo willst du denn tausend Lira herbekommen?«
»Mein Anwalt hat sie mir gerade zugesteckt. Das Geld ist in meiner rechten Tasche. Bringen Sie
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