Sacramentum
das Labyrinth hinein. Farbe bröckelte von den Wänden, wo Salze durch den Fels gedrungen waren, und niemand hatte sich die Mühe gemacht, das zu reparieren. Hier waren nun deutlich weniger Zellen, und diejenigen, an denen sie vorüberkamen, waren alle leer. Und es roch auch muffiger. Es war, als würde dieser Trakt des Gefängnisses so gut wie nie benutzt. Sie erreichten das Ende des Gangs, und ein weiterer kräftiger Stoß ließ Gabriel durch eine Brandschutztür und in einen kurzen Tunnel stolpern. Ein Gitter teilte den Tunnel in Zellen auf der einen und einen Durchgang auf der anderen Seite. Auf der anderen Seite der Gitterstäbe befand sich eine Zelle mit einer Toilette aus Stahl, einer schmalen Bank an der Wand und einem Mann, der so groß war, dass die Einrichtung neben ihm wie aus einem Puppenhaus wirkte.
»Hände durch die Stäbe«, befahl der Beamte, der Gabriel hierhergeführt hatte.
Der Riese trat einen Schritt vor und schob Handgelenke so dick wie die Beine eines Sprinters zwischen den Stäben hindurch. Dabei ließ er Gabriel nicht eine Sekunde aus den Augen.
Gabriel wurde von hinten gepackt und seitwärts gegen die Wand gestoßen. »Wenn du auch nur zuckst, jage ich dir eine Ladung mit dem Taser rein, kapiert?« Der Atem des Beamten roch nach Kaffee und Zigaretten.
Gabriel nickte und fühlte, wie die Spannung wieder nachließ, als der Beamte sich dem Riesen zuwandte. Es hatte Gabriel überrascht, als der kräftige Beamte ihn allein zu seiner Zelle hatte führen wollen, doch nun kannte er den Grund dafür: Der Cop wollte keine Zeugen.
Gabriel schaute zu dem Rauchmelder und der Überwachungskamera unter der Lichtleiste hinauf, die durch den ganzen Korridor ging. Es war eine alte Kamera, die nur verschneite Schwarzweißbilder produzierte, aber keinen Ton. Das Feed wurde sicherlich in den Kontrollraum weitergeleitet, an dem Gabriel auf dem Weg durchs Eingangstor vorbeigekommen war. Dort schaute ihnen vermutlich gerade ein anderer Cop zu, jederzeit bereit, Verstärkung zu schicken, sollte hier unten etwas schieflaufen. Das Problem war nur: Die Kamera war nicht auf die Zelle gerichtet. Also konnte niemand sehen, was dort drin geschah, und sobald der Beamte erst einmal die Tür hinter sich geschlossen hatte und gegangen war, kümmerte das auch niemanden mehr.
Gabriels Blick wanderte zu der mächtigen Gestalt hinter den Gittern. Der Riese starrte ihn herausfordernd und mit kalten Augen an. Gabriel hielt dem Blick stand. Er wusste, dass es ihm nicht helfen würde wegzuschauen. Die Augen des Mannes lagen tief in einem flachen Gesicht, und die blonde, überraschend konservative Frisur sah aus, als hätte er sie einem Versicherungsvertreter vom Kopf gerissen, um sie nun als Hut zu tragen.
Gabriel erwiderte den Blick noch einen Augenblick länger; dann schaute er sich den Rest des Mannes an. Der Kerl war die reinste Karikatur. Er schien nur aus von Steroiden aufgepumpten Muskeln zu bestehen, und alles an ihm strahlte Aggressivität aus. Ein Baumwollhemd spannte sich über den Fleischbergen, und die Ärmel waren hochgekrempelt. Die Handschellen wirkten geradezu lächerlich winzig an den dicken Handgelenken, und unmittelbar darüber war etwas, das bei Gabriel sofort die Alarmglocken schrillen ließ: ein verblasstes blaues Knasttattoo. Allgemein galt: Je größer die Tätowierung, desto mehr Zeit hatte der Besitzer im Bau verbracht, und diese hier war riesig. Doch es war weder die offensichtliche kriminelle Vergangenheit des Riesen noch seine furchteinflößende Größe, was Gabriel am meisten Sorgen bereitete, sondern das, was das Tattoo darstellte. Es war ein Kreuz. Irgendwann in seiner düsteren Vergangenheit hatte dieses Steroid-Monster das Licht Gottes gesehen. Und nun hatte die Kirche ihn gefunden und geschickt, um die Drecksarbeit für sie zu erledigen.
Flucht war nun keine Alternative mehr; sie war notwendig. Sobald der Beamte verschwunden war, würde Gabriel auf sich allein gestellt sein, eingesperrt in den Tiefen der Erde mit einem gläubigen Monster … Und wenn er nicht schnell etwas unternahm, dann würde er hier niemals lebend rauskommen.
13
Zimmer 406, Davlat-Hastenesi-Krankenhaus
Kathryn Mann starrte den Gegenstand an, der gerade aus dem Beweismittelbeutel auf ihrem Krankenbett gerutscht war.
Arkadian war nicht lange geblieben. Die Erinnerung an ihr letztes Zusammentreffen war für sie beide zu belastend gewesen. Also hatte er ihr sein Friedensangebot unterbreitet und war gegangen.
»Das
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