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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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mehr weit sein konnte, und zwar so oder so. Entweder würde bald sein Körper aufgeben, oder ein Agent der Zitadelle würde ihm einen Besuch abstatten.
    Das Gesetz war eindeutig.
    Die Geheimnisse der Zitadelle mussten bewahrt werden … um jeden Preis.
    Und Dragan war ein Sanctus, ein Wächter des Sakraments. Jemanden mit seinem Wissen durfte man auf gar keinen Fall frei in der Welt herumlaufen lassen. Also würde man ihn entweder in den Berg zurückholen oder jemanden schicken, um ihn und jeden, mit dem er gesprochen hatte, zum Schweigen zu bringen.
    Aber er hatte nichts gesagt.
    Nicht zu den Ärzten, nicht zur Polizei und noch nicht einmal zu dem Priester, der die ganze Zeit über ihn wachte und sich von Zeit zu Zeit in sein Zimmer stahl, um ihm zuzuflüstern, was in der Welt geschah. Vater Dragan wünschte sich, der Priester würde ihn in Ruhe lassen. Diese Nachrichten waren ihm egal. Er wollte nur seine Seele reinhalten, um Gott in dem Wissen gegenübertreten zu können, dass er seinen Schwur erfüllt und das Geheimnis mit ins Grab genommen hatte.
    Und er hatte den Tod im Flur gehört. Er hatte gehört, wie er vor seiner Tür vorbeigeschlurft war und ihn mit seiner Nähe verspottet hatte, nur um dann in einem der Nebenzimmer zu verschwinden und eine andere Seele zu ernten. Sosehr Vater Dragan es sich auch wünschte, der Tod ließ ihn allein.
    Und so ertrug er seine Qualen und wartete, bis er an der Reihe war, was – Gott sei gepriesen – nicht mehr allzu lange dauern konnte. Denn trotz der Bluttransfusionen und der Medikamente, die verhinderten, dass es direkt wieder aus ihm hinausströmte, spürte er, wie das Leben ihn langsam verließ. Tropfen für Tropfen sickerte es durch die Verbände und in die Laken, die die Pfleger regelmäßig wechselten.
    Doch nun fühlte er sich anders.
    Jetzt fürchtete er das Flüstern des Todes an der Tür. Früher am Tag, als er aus einem Traum erwacht war, in dem er wieder heil an Leib und Seele durch die kühlen Tunnel des Berges gewandert war, da hatte er eine dunkle Gestalt bei sich im Raum entdeckt. Zuerst hatte er den Schatten für den Tod gehalten, der nun doch gekommen war, um ihn zu holen. Doch dann hatte sich der Blick seiner zerstörten Augen geklärt, und als die Gestalt einen Schritt vorgetreten war, hatte Vater Dragan gesehen, dass es nur der Priester gewesen war, der ihm die neuesten Nachrichten bringen wollte.
    Offenbar war der Tod tatsächlich gekommen, nur nicht zu ihm.
    Du bist der Letzte , hatte der Priester geflüstert. Der Letzte …
    Und als er diese Nachricht hörte, da spürte er, wie die Kraft in seine Glieder zurückkehrte, und ihm wurde klar, dass der Tod nicht länger eine Alternative war. Jetzt musste er leben. Dragan wusste nicht, wer nun in der Zitadelle das Sagen hatte, aber mit Sicherheit kein Sanctus. Warum sonst hätte man ihn hier im Krankenhaus einfach verrotten lassen sollen? Warum sonst hatte man ihn nicht schon längst zum Schweigen gebracht, es sei denn, es war niemand mehr da, der solch einen Befehl hätte geben können? Wenn die alte Elite vernichtet war, dann war nur noch er übrig. Er war der Einzige, der alles wieder aufbauen konnte.
    Nun schaute Vater Dragan an sich herunter, als der Krankenpfleger den letzten Verband abmachte und das schwarze, blutige Fleisch darunter zum Vorschein kam. Der Anblick war eine ganz eigene Qual: das zerstörte Fleisch, übersät mit zeremoniellen Narben, den Abzeichen seines Ordens, rot und geschwollen, wo Blut und Eiter aus ihm quollen.
    Vater Dragan hatte alles erduldet, wie auch Hiob alles erduldet hatte, und so hatte er bewiesen, dass er für die Aufgabe geeignet war, die Gott ihm bestimmt hatte. Er war verschont geblieben, um den Orden wieder aufzubauen. Aber ein Führer musste stark sein, und es gab nur einen Ort, an dem sich Dragan wieder vollständig erholen konnte … wenn er denn überlebte.
    Er musste in die Zitadelle zurück.

II
    Niemand von uns wird je etwas Herausragendes oder Ehrfurchtgebietendes erreichen, es sei denn, er hört auf das Flüstern, das nur er alleine hören kann.
    Ralph Waldo Emerson

25
    Provinz Babil, im Westen des Iraks
    Hyde stützte sich mit dem Arm am Dach der Truckkabine ab, während sie über die von den Flutwellen der letzten Zeit zerfurchte Straße rumpelten. Sie hatten die Hauptstraße vor zwanzig Kilometern verlassen und befanden sich nun mitten im Nirgendwo. Hier draußen gab es keine Bäume, kein Gras, keinen Wind – nichts. Selbst die erbärmlichen

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