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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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den losen Perlen in seiner Tasche herum, während ein Krankenpfleger nach Kathryn Mann schaute. Dann schlossen sie die Tür wieder und gingen zum letzten Zimmer am Ende des Gangs.
    Der Krankenpfleger schob den Medikamentenwagen langsam vor sich her, als wäre das unglaublich schwer. Vater Ulvi wusste jedoch, dass das nicht am Gewicht des Wagens lag; der Mann wollte einfach nicht in das Zimmer und sich dem stellen, was es enthielt. Und Vater Ulvi musste zugeben, dass die Erscheinung des Mönchs sogar ihm Unwohlsein bereitete. Im Laufe seiner Arbeit hatte er schon viel gesehen, das einem den Magen hatte umdrehen können – brutale Messerangriffe, Verbrannte, eine ganze Freakshow von Menschen, die durch Folter kaum noch zu erkennen gewesen waren –, aber selbst er hatte noch nie so etwas gesehen wie den Patienten in Zimmer 400.
    Vater Ulvi betrat den Raum als Erster und hielt die Tür für den Krankenpfleger auf, der ihm widerwillig folgte, sorgfältig darauf bedacht, nicht zum Bett zu schauen, solange er nicht unbedingt musste. Vater Ulvi hörte das trockene Atmen, flach und gequält. Er schloss die Tür und drehte sich zum Bett um.
    Der Anblick schockierte ihn jedes Mal aufs Neue. Das Auffälligste dabei war die Hautfarbe des Mönchs. An den wenigen Stellen, wo sie zwischen den Verbänden zu erkennen war, die nahezu seinen ganzen Körper bedeckten, war sie kohlrabenschwarz; dabei wusste Vater Ulvi, dass es sich um einen Weißen handelte, einen serbischen Mönch mit Namen Dragan Ruja. Er sah aus, als wäre er verbrannt oder als hätte man ihn in Rohöl getunkt, so dunkel war die Farbe seiner Haut, die nur lose an dem verwelkten Fleisch hing. Unter welcher Krankheit er auch immer litt, sie hatte ihn förmlich aufgefressen, sodass er inzwischen schon aussah, als wäre er bereits verrottet. Der Mönch ähnelte stark den mumifizierten Leichen, die man bisweilen in den Bergen fand: Bergsteiger, die abgestürzt und jahrelang nicht gefunden worden waren. Irgendwann hatten Wind und Wetter sie zu leeren Hüllen ihrer selbst gemacht. Nur dass die Toten aus den Bergen in die Leichenhalle gebracht wurden und nicht in ein Krankenhaus, und sie schauten einen auch nicht an, wenn man den Raum betrat, oder zuckten, wenn man den Eiter abtupfte, der noch immer aus den Wunden sickerte.
    Vater Ulvi betrachtete das Gesicht, das lange, wilde Haar auf der pergamentartigen Kopfhaut, und den Bart um die aufgesprungenen Lippen, die der Mönch immer wieder zurückzog, um seine zerstörten Zähne zu fletschen und den blutenden Gaumen zu entblößen. Dann sah er aus, als würde er heulen wie ein Wolf, doch Gott sei Dank gab er überhaupt kein Geräusch von sich, abgesehen von dem rasselnden Atem. Die Augen – und auch dafür sei Gott Dank – waren geschlossen, denn sie waren es, die Vater Ulvi bei seinen bisherigen Besuchen am meisten entsetzt hatten. Vielleicht schafften sie es ja, hier fertig zu werden, ohne ihn zu wecken.
    Der Krankenpfleger dachte offenbar ähnlich, und dementsprechend schnell arbeitete er. Er zog sich ein paar Gummihandschuhe an und tauschte die Blutkonserve an der Infusion aus. Anschließend legte er Spritzen mit Vitamin K und Thrombin aus, die die Blutgerinnung beschleunigen sollten, sowie Skalpelle, um die blutdurchtränkten Verbände abzunehmen. Dann machte er einen Fehler. Ein wenig zu eifrig riss er ein frisches Paket Kompressen auf, und das Geräusch durchbrach die Stille. Die dünnen, schwarzen Augenlider öffneten sich sofort. Vater Ulvi und der Krankenpfleger starrten den Mönch an. Beide hofften sie, dass die Augen sich wieder schließen und der Mann weiterschlafen würde. Doch das tat er nicht. Der Kopf rollte zu ihnen herum, und sie sahen in die Höllenaugen. Sie waren leuchtend rot, eine Folge all der geplatzten Blutgefäße. Vater Ulvi war völlig fasziniert von seinem Mitbruder und dem Dämon, zu dem er geworden war.
*
    Das Licht schmerzte.
    Alles schmerzte.
    Als Dragan zum ersten Mal aufgewacht war, hier an diesem Ort, da hatte er kurz geglaubt, im Himmel zu sein. Er war nicht länger in den finsteren Gängen und Kammern der Zitadelle; also musste er gestorben sein. Doch dann hatte der Schmerz ihn überwältigt, und er hatte gewusst, dass etwas falsch war, denn im Himmel gab es mit Sicherheit nicht solche Qual.
    In den ersten paar Tagen, als ihm klar geworden war, wo er sich befand, da hatte er auf den Tod gewartet – ja, er hatte ihn sogar herbeigesehnt. Und der Schmerz verriet ihm, dass der Tod nicht

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