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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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auch der Abt waren tot, und ihre natürlichen Erben – die Sancti – waren fort. Diesmal würden die Bewohner des Berges nicht nur über einen neuen Abt abstimmen, sondern auch über einen neuen Prälaten, und zwischen diesen beiden Ämtern entschied sich die Zukunft der Zitadelle. Weil Athanasius das erkannt hatte, wusste er auch, dass für diese Wahlen das Gleiche galt wie im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Es kam auf die Anziehungskraft der Kandidaten an, nicht auf ihren Einfluss oder ihren Rang. Und Axel besaß keine offensichtlichen Verbündeten. Allein Ehrgeiz und Dickköpfigkeit hatten ihn in die Position gebracht, die er nun bekleidete. Und vielleicht wurde er dafür respektiert, aber es mochte ihn mit Sicherheit niemand. Wenn er sich also um das Amt des Abtes bewarb, wer sollte dann sein Prälat sein? Und wenn er sich als Prälat bewarb, wer würde unter ihm dienen wollen? Vielleicht konnte er ja einen seiner Wächter davon überzeugen, an seiner Seite zu kandidieren, doch dieses Spiel würde jeder sofort durchschauen. Und wenn Axel gewählt werden sollte – das wusste Athanasius –, dann würde er allein um der Tradition willen das Amt der Sancti wieder einführen und die Tür zur Zukunft zuschlagen. Reformen wären dann nicht mehr möglich. Immerhin war er ein Soldat. In seinem Denken war nur Platz für Befehl und Gehorsam. Das war alles, was er verstand. Das alte System passte perfekt zu ihm.
    Natürlich würden sich noch andere zur Wahl aufstellen lassen, und auch sie hatten Chancen. Vater Malachi zum Beispiel wurde von allen respektiert und war definitiv ein Kandidat, doch mit dem würde Athanasius eine Allianz schmieden können – dessen war er sicher. Als Kammerherr des letzten Abts wusste er besser als die meisten anderen, wie die Zitadelle funktioniert, und deshalb war er für jeden ein nützlicher Verbündeter.
    Doch bei Axel war das anders. In seinem Fall war es das Beste, ihn so weit wie möglich zu isolieren und zu hoffen, dass sein stures Festhalten an der Tradition ihn der großen moderaten Gruppe entfremden würde. Die Sancti waren weg, und viele bedauerten ihren Verlust keineswegs. Sie wollten sie nicht wieder zurück. Und genau auf diese Mönche setzte Athanasius, denn sie waren die Zukunft des Berges.
    »Langsam … Laaangsam!«
    Athanasius hob den Blick. Der Aufzug war fast wieder oben. Axel lief nicht länger auf und ab, sondern trat erneut an den Rand der Öffnung und zog dabei seine Waffe aus dem Ärmel. Dann schnappte er unwillkürlich nach Luft, wich einen Schritt zurück und richtete die Waffe in die Dunkelheit. Der Rest der Wachen folgte seinem Beispiel, und schließlich war die Plattform oben.
    Mitten auf der Plattform stand ein Mann im Gewand eines Priesters. Rote Augen starrten sie aus einem schwarzen Gesicht an, und seine Lippen verzogen sich zum Spottbild eines Lächelns, als er kalt seinen Blick über die Mönche schweifen ließ. »Was für ein Willkommen für einen alten Freund«, sagte er mit rauer, aber vertrauter Stimme. »Habe ich mich wirklich so sehr verändert?«
    Es war der slawische Akzent, der Athanasius erkennen ließ, wer da vor ihnen stand. Bruder Dragan, der jüngste Sancti, war von den Toten wiederauferstanden und in den Berg zurückgekehrt. Mit seinen blutigen Augen sah er aus wie der Tod persönlich.
    »Holt mir mein Gewand«, befahl er. Eine Wache lief los und wäre vor lauter Eile fast über die eigenen Füße gestolpert. »Und sagt dem Abt Bescheid, dass ich wieder zurückgekehrt bin.«
    Axel räusperte sich. »Ich fürchte, das ist nicht möglich. Der Bruder Abt weilt nicht mehr unter uns.«
    Dragan schlurfte steif von der Plattform herunter. »Dann ruft eben den Prälaten.«
    »Auch das ist nicht möglich, denn auch ihn hat der Herr zu sich gerufen.«
    »Wer ist jetzt der hochrangigste Mönch?«
    Axel schaute zu den Gildenoberhäuptern, die sich in der Mitte des Raums aneinanderdrängten. »Wir haben bis zur Wahl eines neues Abts und eines neuen Prälaten demokratisch entschieden«, erklärte er Bruder Dragan. »Aber nun, da Gott uns mit deiner Wiederkehr gesegnet hat, bist du der hochrangigste Mönch in der Zitadelle.«
    Dragan nickte und verzog die Lippen zu einem weiteren grausigen Lächeln. »In dem Fall … Bringt mich zum Quartier des Prälaten, und verbreitet die frohe Kunde im Berg, dass durch Gottes Gnade ein Sanctus zurückgekehrt ist.«
    Und mit diesen Worten ging er an allen vorbei und in die Dunkelheit des Berges hinein, und

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