Sacramentum
verbrannt, und das Fensterglas lag in glitzernden Splitterhaufen auf dem Boden verstreut. Liv öffnete die Wagentür und trat in den eisigen Wind hinaus. Sie konnte die Asche noch immer riechen. Ski stieg ebenfalls aus und gesellte sich zu ihr auf den Bürgersteig.
»Was ist mit den DaCostas?«, fragte Liv und nickte in Richtung der zerborstenen Fenster im Erdgeschoss.
»Sie sind okay. Sie waren auf der Arbeit, als es passiert ist. Das Feuer hat um etwa drei Uhr nachmittags begonnen. Das Haus ist nicht mehr zu retten. Alle wohnen jetzt bei Freunden oder Verwandten und warten darauf, dass die Versicherung etwas unternimmt.«
Ein weiteres Absperrband hing vor einem breiten Sperrholzbrett, mit dem man die Eingangstür vernagelt hatte. Es erstreckte sich bis zu dem Zaun um den winzigen Garten, der der eigentliche Grund dafür gewesen war, dass Liv dieses Apartment gemietet hatte.
Als sie eingezogen war, war der Hof betoniert und mit Ölflecken von der Harley des Vorbesitzers übersät gewesen. Liv hatte den Beton eigenhändig aufgebrochen und die Erde darunter freigelegt, um sie anschließend mit einheimischen Gräsern und Sträuchern zu bepflanzen. Oft hatte sie in ihrem winzigen Garten mitten auf dem kleinen Stück Rasen gelegen und in den Himmel hinaufgestarrt. Dank des Efeus war ihr Garten vom Haus aus nicht einzusehen gewesen, und ein Kirschbaum versperrte den Blick von der Straße. Dann hatte sie sich immer vorgestellt, dass sie in einem Wald lag, weit weg von der Hektik der modernen Welt.
Auch ihr Apartment war voller Pflanzen gewesen, ein Überbleibsel ihrer Jugend als Kind eines Gärtners, der ihr die Pflanzennamen zusammen mit dem Alphabet beigebracht hatte. Er hatte es nie verstanden, dass sie ausgerechnet in der großen Stadt als Journalistin hatte arbeiten wollen, dass sie in einer Betonwüste leben wollte, wo sie doch die Erde im Blut hatte. Vielleicht war das ja ihre Art gewesen, sich von ihrem Vater abzunabeln. Vielleicht war sie aber auch nur neugierig gewesen. Doch wie auch immer, ihr Apartment, ihre Pflanzen, der Geruch von Erde und Sauerstoff, ihre Zuflucht, ihr Heim … alles weg.
Irgendjemand hatte es ihr genommen. Liv ging zum Zaun und trat durch eine Lücke in ihren zerstörten Garten.
In der Mitte hatte man die verkohlten Trümmer von Einrichtungsgegenständen zu einem Haufen aufgeschichtet: ein zersplitterter Tisch, den sie nach dem Tod ihres Vaters geerbt hatte; ein paar verbrannte Bücher; eine Matratze, die noch immer mit den Resten eines Lakens bezogen war, und ein paar gerahmte Fotografien, die zwar vom Rauch beschädigt, aber immer noch zu erkennen waren. Liv griff nach einer von ihnen: Es zeigte eine glückliche Version ihrer selbst in einem Ruderboot auf einem See im Central Park. Neben ihr saß Samuel. Einen Augenblick lang empfand Liv eine schier unglaubliche Wut auf ihn, weil er all diese Zerstörung über sie gebracht hatte, und nun stand sie in den qualmenden Trümmern ihres einstigen Lebens. Aber sie war viel zu müde, als dass diese Wut von Dauer gewesen wäre. Sie war für alles viel zu müde. Hätte Ski sie nicht tröstend in den Arm genommen, hätte sie sich einfach auf den zerstörten Rasen gelegt. Liv schluchzte in seine fleischige Schulter. Sie fühlte sich hundeelend und allein.
»Komm«, sagte er schließlich und streichelte ihr unbeholfen über den Rücken. »Lass einfach los. Weißt du, wo du hingehen kannst, oder willst du jemanden anrufen außer mir?« Liv schüttelte den Kopf. Ski drückte sie weiter an sich und überlegte, was er wohl sagen könnte, damit sie sich besser fühlte. Ski war schon mies, wenn es um Smalltalk ging, und die Situation hier verlangte ihm weit mehr als das ab.
»Du könntest bei mir wohnen«, bot er ihr an, »aber um ehrlich zu sein, würde meine Mutter dich dann mit ihren Fragen in den Wahnsinn treiben. Sie hat dich in den Nachrichten gesehen. Du wärst wie ein Fernsehstar für sie. Vermutlich würde sie ihre Freundinnen einladen, damit sie dich begaffen können. Komm. Steigen wir erst einmal wieder in den Wagen. Hier draußen ist es eiskalt. Und Weinen macht das Ganze auch nicht wieder ungeschehen. Schauen wir mal nach, ob ich dir nicht was besorgen kann.«
53
Vier Uhr morgens in Newark, New Jersey.
Zehn Uhr früh im Vatikan.
Im Rahmen der Berichterstattung über das Erdbeben am Abend zuvor waren auch Gerüchte erwähnt worden, dass zu den Todesopfern auch einige der Überlebenden aus der Zitadelle gehörten. Clementi hatte den
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