Sacramentum
und das zählte mehr als alles andere.
Liv schloss die Tür hinter ihm ab und schaute sich dann um. In vielerlei Hinsicht ähnelte der Raum dem Krankenhauszimmer in Trahpah. Zwar war es ein wenig schöner dekoriert und das Bett war für zwei gedacht, doch abgesehen davon wirkte es genauso steril.
Auf der Fahrt hierher hatte Ski Liv erklärt, dass man in diesem Hotel häufig Zeugen und Geschworene während eines Gerichtsverfahrens unterbrachte. Er hatte sie unter falschem Namen angemeldet, damit nicht in irgendeiner Datenbank plötzlich ein Alarm losging. So konnte sie zumindest für eine Weile unentdeckt bleiben, und das vermittelte ihr ein gewisses Gefühl der Sicherheit.
Liv holte ihren Laptop samt Ladegerät aus der Tasche, stellte ihn auf den schmalen Tisch im Zimmer und schloss ihn an. An einem Ende des Tischs hing ein beleuchteter Spiegel an der Wand, und am anderen stand ein Flatscreenfernseher. Aus Gewohnheit schaltete Liv ihn an und wechselte zu einem Nachrichtensender. Sie wollte gerade den Rest ihrer Sachen auspacken, als der Nachrichtensprecher etwas sagte, das sie den Kopf herumreißen ließ:
»Das erste Beben ereignete sich gestern Abend um acht Uhr Ortszeit in der historischen türkischen Stadt Trahpah. Obwohl das Beben nicht allzu heftig war, löste es eine Kette ähnlicher Ereignisse aus, die sich nach Westen durch die ganze Türkei und nach Süden und Osten bis nach Syrien und den Nordirak hinein erstreckten. Seismologen erklärten, einen derartigen Welleneffekt habe man noch nie beobachtet, und bis jetzt haben sie keine Erklärung für dieses Phänomen gefunden.«
Liv starrte die Karte an, die auf dem Bildschirm eingeblendet wurde.
Ihr Flugzeug war exakt um acht Uhr gestartet.
Sie erinnerte sich an das unerträgliche Ziehen, das sie im Moment des Abhebens gespürt hatte, dieses Gefühl, als würde etwas in ihr reißen, und dann waren die Lichter unter dem Flugzeug erloschen. Gab es da vielleicht eine Verbindung? Nein, das war unmöglich … oder?
»Bis jetzt finden sich die einzigen bestätigten Todesopfer im Krankenhaus von Trahpah. Die Polizei hat offiziell bestätigt, dass auch Kathryn Mann unter den Toten ist, eine der Verdächtigen im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag auf die Zitadelle. Allerdings ist bisher nicht bekannt, ob ihr Tod in Verbindung zu dem Beben steht.«
Liv starrte den Bildschirm an. Sie war wie vor den Kopf geschlagen.
»Jetzt gibt es nur noch drei Überlebende des Bombenanschlags auf die Zitadelle: den Mönch, dessen Verbleib unbekannt ist; Liv Adamsen, die sich angeblich wenige Stunden vor dem Beben selbst entlassen hat, und Gabriel Mann, der ungefähr zur gleichen Zeit aus dem Polizeigewahrsam geflohen ist.«
Liv spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich, und ihr wurde übel.
Kathryn – tot.
Gabriel – verschwunden.
Liv fragte sich, ob er wirklich geflohen oder ob ihm etwas passiert war.
Noch immer wie benommen klappte Liv ihren Laptop auf und googelte ›Ortus‹, die Wohltätigkeitsorganisation, für die er gearbeitet hatte. Wenn irgendjemand Kontakt zu ihm aufnehmen oder ihr sagen konnte, wo er war, dann die Leute dort. Liv überflog die Homepage, fand die Kontaktdaten des Büros in Trahpah und griff nach dem Handy, das Ski ihr gegeben hatte. Sie gab die Nummer ein und fragte sich, wie lange die fünfzig Dollar Guthaben bei einem internationalen Gespräch wohl reichen würden. Ein ausländischer Klingelton ertönte; dann meldete sich jemand auf Türkisch.
»Hi«, sagte Liv, »sprechen Sie Englisch?«
»Ja.«
»Ich würde Gabriel Mann gerne eine Nachricht zukommen lassen.«
Es folgte eine kurze Pause. »Er ist nicht hier.«
»Ich weiß, aber gibt es bei Ihnen vielleicht jemanden, der weiß, wie man Kontakt zu ihm aufnehmen kann? Ich bin eine Freundin von ihm, und ich muss dringend mit ihm sprechen.«
»Er ist nicht hier.«
Liv war nicht überrascht, dass man sie so abfertigte; frustrierend war es trotzdem. »Könnte ich denn bitte eine Nachricht für ihn hinterlassen? Nur eine Nachricht.«
»Was für eine Nachricht?«
»Bitten Sie ihn, Liv anzurufen. Er wird das schon verstehen. Und danke. Es ist wirklich dringend.« Sie gab der Frau ihre Telefonnummer, dankte ihr und legte auf. Sie hatte keine Ahnung, ob ihre Nachricht auch wirklich weitergeleitet wurde.
In Gedanken ging Liv noch einmal die Liste der Leute durch, die sie während ihres Aufenthalts in Trahpah kennengelernt hatte und die vielleicht etwas wissen könnten; doch sie musste mit
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