Sacramentum
zunehmendem Entsetzen feststellen, dass die meisten davon inzwischen tot waren. Vielleicht hatte Ski ja recht, was diesen Fluch betraf. Die Geschichte des Sakraments war voller Flüche und düsterer Prophezeiungen. Liv war selbst Teil einer dieser Prophezeiungen gewesen. Sie erinnerte sich daran, im Schatten der Zitadelle gesessen und mit …
Sie öffnete eine neue Registrierkarte im Browser und googelte nach ›Dr. Miriam Anata‹. Einer der Treffer führte zu einer Website. Liv öffnete sie, und ein Foto der außergewöhnlichen Frau, die sie zuletzt in der Altstadt von Trahpah getroffen hatte, füllte den Bildschirm. Es gab eine Kontaktadresse ihres Verlegers und eine ihres Agenten für Vorträge sowie eine E-Mail-Adresse der Autorin. Liv klickte auf Letztere und schrieb:
Dr. Anata,
Liv Adamsen hier. Wenn Sie wissen, wie man Kontakt zu G aufnimmt, dann sagen Sie ihm bitte, er solle mich anrufen. Es ist dringend. Ich bin in Sicherheit, und diese Nummer kann weder zurückverfolgt noch angezapft werden.
Sie kopierte ihre Handynummer in die Mail und schickte sie ab.
Während Liv zuschaute, wie die Mail versandt wurde, überkam sie ein Gefühl der Nutzlosigkeit und der Frustration. Ihr gingen die Möglichkeiten aus, und sie hatte bis jetzt noch nichts erreicht.
Sie kehrte wieder zu den Googleergebnissen zurück und suchte nach einer weiteren Nummer. In ein, zwei Stunden konnte sie einen ihrer Kollegen bei der Zeitung anrufen und ihn bitten, eine Festnetzoder Handynummer von Dr. Anata zu besorgen, doch sie wollte nicht so lange warten. Außerdem schreckte sie der Gedanke, mit einem Reporter sprechen zu müssen, der ohne Zweifel Details ihrer Abenteuer in den letzten zwei Wochen verlangen würde.
Irgendwo im Flur wurde eine Tür zugeschlagen; dann waren schnelle Schritte zu hören. Liv dachte nach. Natürlich könnte sie einfach hier sitzen bleiben und warten, bis Ski wieder zurückkam, um ihr zu sagen, dass sie das Zimmer anderweitig brauchten; doch wo sollte sie dann hin? Sie hatte niemanden. Ihre Familie war tot. Alles, was sie je gehabt hatte, war weg.
Liv fragte sich, wie viele Bewohner dieses Raums wohl schon ähnlich empfunden hatten: wichtige Zeugen, die bereit waren, ihr altes Leben hinter sich zu lassen, um gegen die schlimmsten Verbrecher der Stadt auszusagen. Vielleicht hatten all die verzweifelten Gedanken an verlorene Leben dem Raum ja eine unglückselige Aura verliehen. Wie leicht war es doch aufzugeben, wenn man in einem Zimmer hockte, aus dem man nur eine Ziegelmauer sehen konnte?
Erschrocken über diese düsteren Gedanken beschloss Liv, etwas zu tun. Sie leerte den Inhalt ihrer Tasche aufs Bett und begann, die wenigen Dinge zu ordnen, die sie noch besaß. Sie legte das Geschichtsbuch zusammen mit ihrem Notizbuch auf den Nachttisch und fand den Umschlag, in dem das türkische Geld gewesen war. Sie wollte ihn gerade in den Papierkorb werfen, als ihr der Gedanke kam, dass vielleicht ein paar Quittungen drin sein könnten, die ihr verraten könnten, wo sie alles während ihres Aufenthalts in Trahpah gewesen war. Sie fand ein paar Taxiquittungen, eine Rechnung aus einem Restaurant und ein größeres, zusammengefaltetes Blatt Papier. Sie klappte es in der Hoffnung auf, eine Hotelrechnung oder etwas ähnlich Ergiebiges zu finden, doch mit dem, was sie dann sah, hatte sie nicht gerechnet.
Auf dem Blatt war der Abrieb eines Reliefs zu sehen, und deutlich waren Symbole zu erkennen – die gleichen Symbole, wie sie auch in dem Buch zu sehen waren. Liv drehte das Blatt um und fand eine handgeschriebene Notiz.
Das wird nicht alles erklären – das kann es gar nicht –, aber es könnte ein Anfang sein. Ich hoffe, nachdem ich Ihre Flucht aus dem Berg erleichtert habe, werden sich die Dinge ändern, und wir können das alles persönlich besprechen. Doch falls die Zitadelle geschlossen bleibt, dann sollen Sie wissen, dass Sie stets einen Freund hier haben. Wenn Sie mich kontaktieren wollen, dann gehen Sie in der öffentlichen Kirche zur Beichte, und fragen Sie nach Bruder Peacock. Jede versiegelte Nachricht an mich, die Sie dort abgeben, wird mich ungeöffnet erreichen.
Mit freundlichen Grüßen
Bruder Athanasius
Die Notiz weckte eine Reihe frischer Erinnerungen.
Liv erinnerte sich an den Mönch mit seinem kahlen, glänzenden Kopf, der sie aus der Dunkelheit der Kapelle und durch die mit Rauch gefüllten Tunnel zu der Stelle geführt hatte, wo die Außenwelt in den Berg gedrungen war. Er hatte ihnen bei
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