Sacramentum
Unglücklicherweise ist es dem Priester, den Sie geschickt haben, um mir den Tod zu bringen, nicht gelungen, seinen Auftrag zu erfüllen, im Gegenteil: Schlussendlich hat ihn dieses Schicksal ereilt. Durch Gottes Gnade bin ich wieder dort, wo ich hingehöre – in der Zitadelle.«
Der Akzent des Mannes klang slawisch, und in den Personalakten, die Clementi gelesen hatte, stand, dass der letzte Sanctus ein serbischer Mönch war. Er könnte es durchaus sein, doch Clementi musste sichergehen. Er ging zum Schreibtisch und öffnete die Schublade, in der er die Akten zur Krise in Trahpah verwahrte. »Sagen Sie mir Ihren Namen«, forderte er den Anrufer auf.
»Ich bin Dragan Ruja, geboren in Banja Luka am 24. Oktober 1964. 1995 bin ich nach dem Tod meiner Familie im Bosnienkrieg in die Zitadelle eingetreten.«
Er war es. Keine Frage. Die Fakten stimmten. »Ich bin froh, dass Sie sicher wieder nach Hause gefunden haben«, sagte Clementi und ein Schauder lief ihm über den Rücken, als er sich bewusst machte, dass er tatsächlich mit jemandem sprach, der sich in der Zitadelle befand.
»Ich danke Ihnen. Allerdings musste ich bei meiner Rückkehr feststellen, dass es einen Diebstahl gegeben hat. Wissen Sie zufällig, wo sich Liv Adamsen befindet?«
»Ja.«
»Gut. Ich nehme an, Sie haben die Order erteilt, auch sie zum Schweigen zu bringen.«
Clementi antwortete nicht darauf.
»Sie müssen den Befehl sofort widerrufen. Sie darf nicht getötet werden. Stattdessen müssen Sie sie so schnell wie möglich hierher in die Zitadelle bringen. Und zwar lebend.«
»Ich bin nicht sicher, ob das möglich ist.«
»Das ist keine Bitte, sondern ein Befehl. Sie kennen doch sicher das konstantinische Dekret, das die Macht über die Kirche an Rom überträgt, nicht wahr?«
»Natürlich.«
»Dann wissen Sie auch, dass der Prälat von Trahpah de facto das Oberhaupt der Kirche geblieben ist, während der Papst sie nur nach außen hin repräsentiert.«
Clementi musste unwillkürlich schlucken. Falls er noch irgendwelche Zweifel gehabt hatte, was die Identität des Mannes betraf, mit dem er sprach, so waren sie jetzt wie weggeblasen. Nur die höchsten Kirchenvertreter im Vatikan und der Führungszirkel der Zitadelle wussten von diesem geheimen Edikt.
»Ich werde tun, was ich kann«, sagte Clementi, »aber der Agent ist dicht am Ziel, und ich werde vielleicht nicht mehr in der Lage sein, ihn noch rechtzeitig zu kontaktieren. Tatsächlich besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass die Frau bereits tot ist.«
Es folgte eine Pause, und Clementi fühlte die Wut am anderen Ende der Leitung. »Ich hoffe, das ist nicht der Fall«, erwiderte der Sanctus schließlich, »um ihretwillen.« Dann war das Gespräch beendet.
64
Newark, New Jersey
Liv wachte auf.
Draußen hörte sie den Verkehr auf der Straße. Licht fiel sanft durch die Vorhänge. Es war also noch immer Tag, obwohl Liv nicht wusste, wie spät es war. Vielleicht hatte sie nur ein paar Minuten geschlafen, vielleicht aber auch Stunden oder gar Tage. Sie blinzelte und schaute sich in dem schlichten Hotelzimmer um. Ihr Laptop stand noch immer dort, wo sie ihn gelassen hatte, zusammengeklappt und ausgeschaltet; ihr Jackett hing noch immer über dem Stuhl, und die Bibel lag aufgeschlagen auf dem Bett, wo sie sie hatte fallen lassen. Alles war so, wie es hätte sein sollen, und doch war etwas anders. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis Liv wusste, was das war. Zum ersten Mal seit Wochen hatte sie keinen Albtraum gehabt. Sie war ruhig und entspannt aufgewacht wie jeder andere Mensch auch. Da war weder ein Flüstern in ihrem Kopf, noch hatte sie Visionen von T-förmigen Kreuzen und schrecklichen Dingen in der Dunkelheit.
Alles war ruhig.
Liv atmete tief ein und wieder aus und spürte, wie die Spannung aus ihren Schultern wich. Sie fühlte sich entspannt … zufrieden.
Dann zerriss ein Klopfen an der Tür die Stille wie ein Schuss.
Liv saß sofort aufrecht im Bett, starrte auf die Tür und ging im Kopf die Liste der Menschen durch, die wussten, dass sie hier war: Gabriel, Ski, Dr. Anata … sonst niemand.
Vermutlich war es Ski, der nach ihr sehen wollte, doch Liv verhielt sich still. Sie wollte ihre Anwesenheit nicht verraten, solange sie nicht wusste, wer vor der Tür war.
Ein weiteres lautes und nachdrückliches Klopfen ließ sie unwillkürlich zusammenzucken. Und der Klopfer identifizierte sich noch immer nicht. Der Zimmerservice hätte inzwischen doch auch gerufen.
Liv stieg
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