Sacramentum
leise aus dem Bett, zog sich den Bademantel an und ging ihre Möglichkeiten durch. In dem winzigen Raum gab es kein Versteck und nichts, was sie als Waffe hätte gebrauchen können. Dieses Zimmer war eine Falle. Es gab nur einen Weg hinein oder hinaus.
Liv schlich um das Bett herum, nahm Skis Handy vom Tisch und gab die Nummer ein, die auf dem Briefpapier des Hotels stand. Wenn derjenige, der in ihr Zimmer wollte, die Tür aufbrechen sollte, dann würde sie sich im Badezimmer verstecken, die Rezeption anrufen und laut ›Vergewaltigung‹ schreien. Liv schlich weiter, doch dann ertönte eine Stimme, die sie mitten in der Bewegung innehalten ließ.
»Liv?«
»Gabriel?« Sie hatte seinen Namen ohne Nachzudenken ausgesprochen, und in der Stille, die darauf folgte, bereute sie es schon. Wer auch immer da draußen war, er hatte nur ein Wort gesagt, und das war auch noch durch die dicke Tür gedämpft worden. War das wirklich Gabriel? Das konnte nicht sein. So lange war es doch gar nicht her, seit sie mit ihm gesprochen hatte, und da war er in Trahpah gewesen. Das war eine Reise von mindestens einem halben Tag. Es sei denn … Vielleicht hatte sie doch länger geschlafen, als sie gedacht hatte. Müde genug war sie jedenfalls dafür gewesen.
»Liv?«
Wieder diese Stimme, und sie war ihm so ähnlich.
»Eine Sekunde«, sagte Liv. Für Vorsicht war es jetzt ohnehin zu spät. »Wie kommt es, dass du so schnell hier bist?«
»Ich habe den ersten Flug genommen. Du musst den ganzen Tag geschlafen haben.«
Das war er. Liv stieg das Blut in die Wangen. Sie sprang zur Tür und riss sie ohne weiter darüber nachzudenken auf.
Eine Hitzewelle traf sie aus dem Flur, sogar heißer noch als die Luft in ihrem Zimmer.
Gabriel stand ein Stück von der Tür entfernt. Er hatte die Arme angelegt und sah ein wenig seltsam aus. Er sah genauso aus, wie Liv es in Erinnerung hatte. Dank der schwarzen Kleidung wirkte seine Haut noch weißer als sonst, und das kalte Blau seiner Augen war der einzige Farbkleks in dem fensterlosen Flur. Liv schaute ihm ins Gesicht und lächelte … Doch Gabriel erwiderte das Lächeln nicht. Eine einzelne Träne rann ihm über die Wange, als wäre das Blau seiner Augen in der Hitze geschmolzen.
»Tut mir leid«, sagte er.
Und dann stand plötzlich der gesamte Flur in Flammen.
Liv wurde von der Wucht der Explosion zurückgeworfen. Sie landete auf dem Bett und schützte das Gesicht mit den Armen. Inmitten des Brüllens der Flammen, warnte sie das Flüstern in ihrem Kopf. Als sie zu der Stelle zu schauen versuchte, wo Gabriel gestanden hatte, zwangen Hitze und Helligkeit sie, die Augen zu schließen. Liv stand auf und versuchte, näher an die Tür heranzukommen. Dabei schützte sie sich mit dem Ärmel des Bademantels und hoffte, dass Gabriel diesen Glutofen irgendwie überlebt hatte.
Dann verschwand das Feuer so rasch, wie es gekommen war, und anstelle des Flurs war nur eine Wüstenlandschaft durch die offene Tür zu sehen. Sie war flach und konturlos, und sie bestand aus nächtlichen Schatten und dem sanften Licht des Mondes. Angezogen von ihrer Seltsamkeit trieb Liv auf sie zu.
Liv erreichte die Tür und sah es: die Bestie, die Quelle des Infernos. Sie hockte im Sand, eine gewaltige Echse aus Panzerplatten, Dornen und Feuer. Ihre roten Augen starrten Liv direkt an, während ihr speerartiger Schwanz zitterte und immer wieder gen Himmel zuckte, wo der Vollmond schien.
Die Bestie atmete tief durch, saugte die Flammen und den Rauch um ihre Schnauze ein und schloss die roten Augen, als genieße sie Livs Geruch. Dann flog etwas durch die Nacht. Es traf Liv mitten in die Brust und durchdrang Körper und Geist. Sie versuchte zu schreien, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Sie spürte, wie ihr das Blut über die Haut lief … wie eine Erinnerung an ihre Zeit in der Zitadelle. Dann spießte das Ding sie mit dem Schwanz auf und hob sie in die Höhe. Liv roch den Tod im Atem der Kreatur und sah ein Zeichen auf ihrem Hals: ein Kreuz in Form eines auf dem Kopf stehenden ›T‹. Dann stieß die Bestie einen derart schrillen Schrei aus, dass Liv das Gefühl hatte, es würde ihr den Kopf zerreißen, und Feuer strömte aus dem Maul des Ungeheuers, um sie zu verschlingen.
65
Liv saß aufrecht im Bett, das schrille Kreischen des Albtraums noch in den Ohren.
Das Hotelzimmer war ein einziges Chaos: Der Stuhl war umgestoßen, das Bettzeug heruntergeworfen, und überall lag zerrissenes Papier. Liv fragte sich, ob sie noch
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